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Archiv-Artikel

Und das Dock war öd und leer

Vielleicht ist es naiv zu denken, auf einer Werft werde gearbeitet. Ein Besuch bei Blohm + Voss in Hamburg erweist jedenfalls das Gegenteil: leere Hallen, viel Stahl, wenig Menschen. Wenn irgendwo mal jemand schweißt, ist man schon ganz dankbar

Aus den Schiffbauhallen ertönt kein Geräusch. Dafür liegt viel Stahl herum. Arbeitende Menschen gibt es kaum

VON PETRA SCHELLEN

Vielleicht war ich einfach zu naiv. Ich hatte mir einen Werftbesuch wie aus dem Bilderbuch vorgestellt. Einen, bei dem man sich wie in Vulkans Schmiede fühlt, wo es dampft und zischt, dass einem die Ohren brausen. So etwas wie, sagen wir: das Eisenhüttenstädter Eko-Stahlwerk, das auch nach der Wende bei Werksführungen noch laufende Hochöfen und Stahlbrammen in allen Größen zu bieten hatte. Und mit Stahl, dachte ich mir, arbeitet eine Werft ja auch. Grund genug, sich schon Wochen auf eine der raren Laienführungen bei Blohm + Voss in Hamburg zu freuen.

Personalausweis, festes Schuhwerk und ein solides Pokerface sind natürlich Voraussetzung. Das kann man auch verstehen. Blohm + Voss war bis in die Siebziger hinein eine der wichtigsten Hamburger Werften und muss sich bis heute – stark auf Militaria spezialisiert – vor Spionage schützen. Hat man also die Passkontrolle hinter sich, gibt’s Corporate Identity kompakt: Glas und marineblauer Stahl beherrschen die Räume. Dann die Lehrwerkstatt. Ohne Lehrlinge. Die haben schon Feierabend.

Den hätte auch Herr K., Abteilungsleiter für Forschung und Entwicklung, ganz gern. Er gibt zu, dass er den firmeneigenen Werbefilm meist nicht selber zeigt und nicht recht weiß, wie die Technik funktioniert. Sie funktioniert – und da kommen sie auch schon angerast, die militärgrauen Vorhänge vor den Fenstern des Vortragsraums; muss man halt sehen, dass man schnell Finger und Taschen aus der Schusslinie kriegt.

Vom Schießen, Abtauchen und dem Radar-Eins-Auswischen handelt auch der Animationsfilm jener Werft, die 1968 noch 7.800 Mitarbeiter zählte. Auf 1.500 Beschäftigte wurde infolge der Werftenkrisen der sechziger und achtziger Jahre inzwischen heruntergespart. Heute hat sich Blohm + Voss auf Marineschiffbau spezialisiert: U-Boote, Fregatten, Privatyachten und Containerschiffe baut man jetzt. Und das Geschäft brummt. Suggeriert jedenfalls der kleine Film, den wir zu sehen bekommen: Zu martialischer Musik schießen Fregatten durch die Meere. U-Boote tauchen. Sehnige Männerfinger bedienen Tastaturen. Kadetten salutieren zur Nationalhymne.

„Fast unsichtbar, weil per Radar nicht zu orten“ seien die Schiffe, sagt die Filmstimme immer wieder. Verlieren können diese Boote nicht. Auch Blohm & Voss nicht. Im Gegenteil, man spielt „rechte Hand des Schöpfers“. „Zwei Drittel der Erde sind von Wasser bedeckt. Für diesen Teil der Welt bauen wir.“

Blohm + Voss ist eine Werft im Zenit ihres Ruhms, bereit, „jeden Traum wahr zu machen“. Wessen Traum eigentlich? Die Frau neben mir bindet dauernd ihre Schuhe. Ist die manisch? Oder hat sie was in der Sohle versteckt? Will sie gleich in der Werkshalle ein Stückchen Plutonium klauen? Ach nee, wir sind ja nicht im Kernkraftwerk …

„Dieser Film ist auch der Türöffner bei Kunden“, sagt der Abteilungsleiter. „Und wenn die Kunden dann angebissen haben, schließen wir sie mit unseren Angebotsspezialisten ein.“ Er ist noch jung. Ob er heimlich Ego-Shooter spielt?

Egal – wir wollen aufs Gelände und sehen, wie all die Dinge gefertigt werden, von denen der Film schwärmt. Sind aufs Angenehmste vorgewärmt für einen wohlwollenden Fabrikhallenbesuch. Wie gesagt: Vulkans Schmiede. Oder zumindest ein ordentliches Kontrollzentrum, das wär es jetzt.

Es kommt ein echter Ex-Käpt’n, wettergegerbt und hager. Stimme und Tonfall: leider Schlafwagen. Aber macht nix, gleicht werden wir Wundersames sehen, das spüren wir. Tapfer stapfen wir über menschenleeres Gelände. Vorbei an Müllcontainern, abblätternden Pin-Ups zu einer Schiffbauhalle. Man hört keinen Geräusch. Ob die alle stille Beschäftigung machen? Drinnen ist alles leer. Am Boden liegen, recht ordentlich, Stahlplatten. Über uns ein Schild: „Vorsicht Kran“. Aber da kommt kein Kran. Vereinzelt dann Spuren von Beschäftigung: ausgestanzte Irgendwas-Formen. „Hier wird in Schichten gearbeitet“, sagt der Käpt’n auf unser Verwundern. Aha. Aber heißt das, dass am helllichten Nachmittag gar keiner da ist? „Naja“, rückt der Käpt’n raus. „Die Auftragslage ist schlecht.“

In mir kriecht die Enttäuschung hoch. Das soll alles gewesen sein? Mehr blieb nicht vom Ex-Giganten unter den Werften? Und warum führt man Besucher durch dieses Elend? Um auf die Mitleidstour Kunden zu akquirieren?

Wir laufen und laufen. Das kann nicht sein, denke ich. Mich beschleicht das Gefühl, dass wir hier durch die Peripherie geschickt werden. Irgendwann ein schwaches Schweiß-Geräusch, ganz hinten. „Ich weiß auch nicht, was die da machen“, sagt unser Käpt’n. Soso. Jedenfalls bedienen sie nicht die Riesen-Stahlpressen hier vorn, die zu beobachten mir solchen Spaß gemacht hätte. In der dritten Halle liegt tatsächlich mal ein aufgebockter Schiffsrumpf. „Der wird später per Kran umgedreht“, sagt unser Käpt’n. „Können wir nicht mal wo hingehen, wo was gearbeitet wird?“, frage ich mit letzter Kraft. „Gearbeitet? Was haben Sie denn für Vorstellungen?“ fragt er. – „Ich dachte ja nur …“ sage ich. – „Naja, ich gebe zu, das sieht dumm aus“, sagt der Käpt’n versöhnlich. „Aber so ist das nun mal.“

Vielleicht habe ich irgendwas falsch verstanden. Womöglich liege ich total schief mit meiner Vorstellung von der Werft als solcher. Andererseits – wo ist die Ablöseschicht für die Männer, die vorhin aus dem Werkstor strömten? Waren das alles Statisten? Verwaltungsheinis? So sahen die nicht aus. Oder halten sich die sich alle in irgendeinem Hangar versteckt und bauen heimlich Luxusyachten?

Man weiß es nicht. In meinem Delirium sehe ich irgendwann einen Trupp von 30 Blaumännern. Wo gehen die hin? Ich will mit! Aber nein, ich muss mir allerlei Geschichten über die nach dem Krieg wieder ausgebuddelte Platte des Schlachtsschiffs „Bismarck“ anhören, die hier ausgestellt ist. „Damit können Sie Engländer immer freundlich stimmen“, sagt der Käpt’n und lacht. Von denen kommen aber wohl nicht mehr viele.

Und die Spezialfertigung für U-Boote und Fregatten? Haben wir nicht gesehen. Vielleicht ist das alles ein Phantom. Oder die Häppchen-Version für naive Touristen. Eventuell wohnen wir auch live dem Ende des Kapitalismus bei. Hinten links habe ich nämlich Kräne mit der Aufschrift „VEB Eberswalde“ erspäht. „Die haben wir in den letzten DDR-Jahren gekauft,“ bestätigt der Käpt’n. Der Kapitalismus hat sich also beim sterbenden Sozialismus bedient, um alsbald seinerseits zu verscheiden. Trostlos. Andererseits gerecht. Vermutlich die Rache der Götter für die Allmachtsphantasien aus dem Blohm + Voss-Werbefilm. Den guckt der Vorstand wahrscheinlich jede Nacht.