Ein Neustart bei der CDU

Der Kapitän verlässt das Schiff: Nach 29 Jahren legt Bernd Neumann den CDU-Vorsitz nieder. Sein Nachfolger heißt Thomas Röwekamp und hat längst vergessen, was er im Wahlkampf geredet hat

von KLAUS WOLSCHNER

„Wir haben unsere Regierungsfähigkeit unter Beweis gestellt“, mit diesem Satz fasste Bernd Neumann, am Samstag nach fast 30 Jahren als CDU-Landesvorsitzender aus diesem Amt verabschiedet, den größten Erfolg seiner politischen Arbeit für die Bremer CDU zusammen. Als er das Amt 1979 übernahm, war die CDU an der Weser eine 32-Prozent-Partei.

Vergeblich versuchte Neumann in mehreren Wahlkämpfen, die Dominanz der SPD zu knacken. Seinem Nachfolger Hartmut Perschau gelangen 1999 immerhin 37 Prozent, zwölf mehr, als Thomas Röwekamp für die CDU im vergangenen Jahr einfahren konnte – mit einer völlig überalterten Wählerschaft. Das macht wenig Hoffnung.

Grund genug also, das Parteiamt nach so langer Zeit in jüngere Hände zu geben. Als die Bremer CDU am Samstag auf ihrem Parteitag den Abschied mit dem Titel des „Ehrenvorsitzenden“ versüßte und den Neuen, Thomas Röwekamp, wählte, waren die alten Freunde noch einmal versammelt. Denn es gibt einige, die ihrem Landesvorsitzenden über die Jahre die Treue gehalten haben, auch wenn die Treue sie zuweilen Amt oder Mandat kostete. Etwa Reinhard Metz. Der räumte seinen Sitz im Bundestag, als Neumann in der Bürgerschaft nicht mehr als Fraktionsvorsitzender dienen wollte.

Gekommen war auch der, dem die Union ihren größten Erfolg in Bremen verdankt: Henning Scherf (SPD). Der habe „immer auch die Befindlichkeit der CDU im Auge gehabt“ beim gemeinsamen Regieren, lobte Neumann. Als Scherf nicht mehr Bürgermeister war, ging es abwärts mit der großen Koalition. Und mit der CDU.

Auch christdemokratische Prominenz war da, um Neumanns Abschied zu versüßen: Jürgen Rüttgers, der Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen, ist schließlich auch ein alter Freund. Aber auch einer, der der Bremer CDU vorführen kann, was sie alles nicht geschafft hat. Schließlich hat er in einem jahrzehntelang tiefrot gefärbten Land die Mehrheit gewonnen. Und sitzt da ganz gut im Sattel. Rüttgers demonstrierte in einer 40-minütigen Rede, wie man das macht.

Dalai Lama? „Ein faszinierender Mann.“ Natürlich empfängt Rüttgers ihn. Es gehe um Menschenrechte. Rüttgers findet bewegende Worten für den Tibeter. Ihm ist die Moral in der Politik offensichtlich ein Herzensanliegen. Und dann das Fazit: „Da muss doch jeder sagen: Das unterstütze ich.“

Rüttgers bekennt sich zu Ludwig Erhards sozialer Verantwortung in der Marktwirtschaft: Wirtschaftspolitik und Sozialpolitik seien zwei Seiten derselben Medaille, sagt er. Mit Verve wehrt er sich gegen jene, die die deutsche Wirtschaft schlecht reden. Dafür, findet er, gebe es keinen Anlass.

Aber: Wachstum müsse Wohlstand für alle bringen, sonst sei da etwas falsch. Zum Beispiel wenn jemand 40 Jahre lang 40 Stunden einen Lohn von 7,50 Euro verdiene und dann am Ende 22 Euro weniger Rente habe als der Hartz IV-Satz, „dann stimmt etwas nicht“, sagt Rüttgers. Er sei gegen den Mindestlohn, aber dafür, dass sich Leistung lohne – auch in der Rente. Selbstverständlich ist Rüttgers für Ganztagsschulen. Es gebe eben Stadtteile im Ruhrgebiet, da müsse der Staat dafür sorgen, dass die Kinder montags nicht hungrig in der Schule sitzen.

„Die Mitte“ steht auf der Leinwand hinter dem Rednerpult auf dem CDU-Parteitag. Nach der Rüttgers-Rede konnte man sich fragen, ob da für die SPD überhaupt noch Patz ist. Dann kommt Röwekamp, der Neue für Bremen. Im Wahlkampf hatte er einmal davon geredet, dass Sozialpolitik für die CDU wichtig sei. Das ist fast ein Jahr her und er hat es offenbar längst vergessen. Und selbst die Rüttgers-Rede weckte keine Erinnerung: Er sei dafür, wie einst die große Koalition, weiter auf Investitionshilfen zu setzen und dagegen, „dass das Geld in den sozialen Sicherungssystemen verpulvert wird“, ruft Röwekamp schneidend in den Saal. Er peitscht auf die SPD und die rot-grüne Koalition ein. Das fällt um so mehr auf, als Rüttgers zuvor sympathische Ruhe und Souveränität ausgestrahlt hatte.

Auch da, wo Röwekamp versucht, sich auf ideelle Werte zu beziehen, geht es schief: „Fairness“ sei wichtig, will er erklären. Sein Beispiel ist die Schulpolitik: Die Kinder seien nicht alle gleich, die Gesamtschule schade denen, die bessere Chancen haben. Der Wert der „Toleranz“ führt den Ex-Bürgermeister unmittelbar zur Ausländerpolitik. „Wer sich nicht integrieren will, der hat in Bremen nichts zu suchen“, ruft er in den Saal. Wollte er nicht etwas zu Toleranz sagen?

Nach der Rede ist klar, warum Rüttgers für die CDU in NRW fast doppelt so viele Stimmen bekommen hat wie Röwekamp in Bremen. Er wolle „über viele Jahre an erster Stelle regieren“, so beschrieb der sein ehrgeiziges Ziel. Ganz ähnlich hatte er das auch im Wahlkampf gesagt und war bei 25,6 Prozent gelandet. Nur 1987 hatte Bernd Neumann noch weniger.

Mehrfach hatte der die Delegierten streng zur Geschlossenheit aufgerufen und beteuert, es sei ein „Team“, das jetzt die Führung übernehme. Nach heftigen innerparteilichen Auseinandersetzungen hatte Jörg Kastendiek auf eine Kandidatur verzichtet. Röwekamp erhielt über 80 Prozent der Stimmen. Das war das letzte Mal, dass Neumann ihm helfen konnte.