Erste Muslimin in Parlamentspräsidium

Ein bisschen stolz macht es sie schon. Gar nicht mal persönlich, dazu ist Nebahat Güçlü zu sehr ein politisch denkender und fühlender Mensch. Ihre Wahl betrachte sie eher als „Anerkenntnis der Realität, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und übrigens schon immer war“, sagt sie.

Gestern Nachmittag hat die Hamburger Bürgerschaft Nebahat Güçlü zu ihrer Vizepräsidentin gewählt. Damit ist die 42-jährige Grüne die erste Migrantin und Muslimin im Präsidium eines deutschen Parlaments. Es ist das höchste parlamentarische Amt, das ein eingebürgerter Politiker bislang in der Bundesrepublik erreicht hat.

In die Wiege gelegt wurde ihr diese Karriere keineswegs. Güçlü wurde 1965 in Kayseri geboren, mitten in Anatolien. Mit fünf Jahren kam sie nach Hamburg, im Arbeiterviertel Barmbek wuchs sie auf. Ihr Vater hatte einfache Jobs. Er arbeitete auf dem Bau, im Straßenbau, später bei der Post, die Mutter hütete das Haus. Vier Jahre war der Vater zur Schule gegangen, zwei die Mutter. Nebahat Güçlü aber ging auf die Universität, sie ist Akademikerin und nicht nur deshalb die Personifizierung der zweiten Generation von Einwanderern.

Den Weg zum Abitur hat sie sich erkämpft, als Grundschülerin in den Siebzigerjahren spielte sie als erstes türkisches Mädchen bei Adler Uhlenhorst, eines der ersten Mädchen-Fußballteams in Hamburg überhaupt, als Teenager wechselte sie dann zu Taekwondo. Und dass sie ihre Tochter fast 18 Jahre lang allein erzogen hat, das passt auch ins Bild: „Ich habe immer schon gekämpft“, sagt Nebahat Güçlü, „immer dann, wenn ich es musste.“

Die Diplompolitologin hat Frauenprojekte konzipiert und begleitet, in Mexiko und Uruguay, in Südafrika und Thailand, in der Türkei und natürlich auch in Deutschland. In mehreren Frauenverbänden und MigrantInnenvereinen war sie tätig, seit acht Jahren ist sie Geschäftsführerin der Interkulturellen Begegnungsstätte in St. Pauli. In der Fraktion der Grün-Alternativen Liste ist sie die Fachsprecherin für Soziales, Frauen und Migration. Als Vizepräsidentin der Bürgerschaft wolle sie „natürlich die gesamte Bevölkerung vertreten“, sagt Güçlü, „gerade weil ich als Frau und Migrantin ein politisches Symbol für die Öffnung der Gesellschaft bin“.

Und insgeheim freut sie sich schon auf repräsentative Termine und auch Grußworte bei Verbänden, in denen – deutsche – Frauen es allerhöchstens bis zur Assistentin eines grauen Zweireihers bringen. Davon, das hat Güçlü schon in ihren ersten vier Jahren im Hamburger Landesparlament erfahren müssen, „gibt es selbst in einer Metropole wie Hamburg noch zu viele“. SVEN-MICHAEL VEIT