Deko-Konzept: „Wilde Freiheit“

Die taz-Geno und „Freiabonnements für Gefangene“ luden zum Fairen Freigänger Frühstück ins taz-Café. Eine Gelegenheit für Freigänger aus dem offenen Vollzug und Gefangene mit Lockerung, sich mit Familie und Freunden zu treffen. Mittenmang: GenossInnen und LeserInnen

Wer denkt denn an so was: Freigänger, also Inhaftierte, die das Gefängnis im Rahmen einer Beschäftigung regelmäßig verlassen dürfen, zahlen monatlich Miete für ihre Zelle, in Berlin um die 150 Euro im Monat. Nicht gewusst? Beim ersten „Fairen Freigänger-Frühstück“, veranstaltet von der taz-Genossenschaft in Kooperation mit dem Verein „Freiabonnenements für Gefangene“ gab es am letzten Sonntag Gelegenheit, Näheres über die Lebensumstände von Freigängern aus dem offenen Vollzug, Gefangenen mit Lockerungen und deren Freunden, Familien und Bekannten zu erfahren – bei einer Tasse tazpresso und diversen Leckereien, die von Gepa, der Berliner Tafel und dem Restaurant Suriya Kanthi gesponsort wurden.

Die Endlosfrühstückerei gehört zu den kleinen Freiheiten, die man sich in Berlin gern mal nimmt, am Wochenende, nach getaner Arbeit oder dem, was man so Arbeit nennt – während Freigänger in ihrer freien Zeit in der Regel arbeiten: Sie sollen im Anschluss an ihre Inhaftierung lernen, wieder eigenverantwortlich zu leben. Sie nehmen am Alltag teil und doch auch nicht. Es ist ein schizophrener Zustand, für Gefangene normal.

Und was hilft in einer solchen Situation? „Freundschaft“ zum Beispiel, die die Jungs vom „H.P.-Project“ besingen, zwei Hiphopper Mitte zwanzig. Einer von ihnen, Morton, im Freigängermodus, der andere, Pac Man, in Freiheit. Sie machen zusammen Musik, trotz Inhaftierung und hoffentlich auch in Zukunft, wenn Morton wieder draußen ist aus der JVA Tegel. Auch sein Vater ist ins taz-Café gekommen, um seinen Sohn singen zu hören – er ist stolz auf ihn. Und Morton hat in Zukunft nicht mehr die Absicht, sich an der berüchtigten Badestelle am Schlachtensee in Berlin-Zehlendorf rumzutreiben, kein Trouble mehr, lieber ein schönes Projekt aufstellen, gemeinsam mit Freunden.

So saß man beisammen an einem Sonntagvormittag, an von Eleonore Gliewe mit uckermärkischen Wiesenblumen geschmückten Tischen, Deko-Konzept: „Wilde Freiheit“. Detlef Kuhlbrodt las aus seinem Buch „Morgens leicht, abends lauter“ und fand Gehör: Seine hübsch angeschrägten Geschichten aus dem Alltag einer Gesellschaft, in der man schon durch simples „Rauchen kriminalisiert wird“ trafen den Nerv recht gut.

Besonders gut amüsierten sich drei Damen aus der JVA Reinickendorf – auch wenn ihnen sowohl die Hiphopper als auch die jungschen Schrammelrocker „Mighty Music Junks“ etwas zu laut waren. Schon in etwas gesetzterem Alter bevorzugten sie den Auftritt des taz-Chors. Doch draußen in der Sonne kam man gut miteinander ins Gespräch: „Wissen Sie, inhaftiert sein, das ist, als ob man in der U-Bahn sitzt, und dann gehen die Türen zu. Sie bleiben auch zu, und dann muss man für Jahre mit den Leuten im Waggon klar kommen, ob man nun will oder nicht.“ Au weia.

Nein, im Frauenknast ist es nicht so wie bei „Hinter Gittern“, alle drei können bei dieser Frage nur lachen. „Das hat mit der Realität nun wirklich nichts zu tun, und bei uns hat das auch niemand angeschaut. Abends sitzt man eher zusammen und spricht miteinander oder spielt Karten. Es ist schon hart im Knast, aber es ergeben sich auch Freundschaften. Man kocht zusammen, manchmal haben wir sogar zusammen Bauchtanzabende mit den türkischen Gefangenen gemacht“, erzählt eine der Freigängerinnen, doch sie sagt auch: „Im Knast ist man ständig gefordert, wenn man sich nicht positioniert, machen alle mit einem, was sie wollen, sowohl die Mitgefangenen als auch das Gefängnispersonal.“

Man muss sich selbst kümmern, auch, wenn man in den Freigang möchte. Dann ist man ein „Selbstbesteller“. Begriffe aus einer anderen Welt, in der es „Langstrafer“ und „Kurzstrafer“ gibt. „Sie können sich das niemals vorstellen, man muss es erlebt haben“, erzählen die drei. Und wer es geschafft hat ist „viel selbstbewusster, weil man lernen musste, sich zu behaupten, eine Haltung einzunehmen und diese auch durchzufechten“. Für viele der inhaftierten Frauen, oftmals Beziehungstäterinnen, eine neue, positive Erfahrung: „Zu Männern halte ich erst mal Distanz, so viel steht fest.“

Auch im Freigang ist man auf sich allein gestellt, die Frauen erzählen, dass einem niemand dabei hilft, sich draußen wieder zurechtzufinden.

Genau der Punkt, an dem der freischaffende Künstler Josef Krahforst aus Gießen mit seinem Kunst- und Weiterbildungsprojekt in der JVA Gießen ansetzt. Er ist zum Freigänger-Frühstück gekommen, auch, um sich besser zu vernetzen, denn sein Projekt hat Modellcharakter. Es hat keinen Namen, es gibt keine Broschüre, es funktioniert aber ganz einfach. In Zusammenarbeit mit der lokalen Volkshochschule und der JVA bietet er Malkurse an, organisiert Deutschunterricht und Kommunikationstrainings – von existenzieller Bedeutung gerade für Inhaftierte mit Migrationshintergrund. Er hilft den Gefangenen beim Übergangsmanagement: Wie füllt man einen Hartz-IV-Antrag aus? Wie bekommt man eine Wohnung? Wie bekomme ich einen Job?

Eigentlich wäre es also gar nicht so schwer, die Zustände in den überfüllten, personell unterbesetzten Gefängnissen zu verbessern – auch wenn Josef Krahforst eigentlich der Überzeugung ist, dass man schon viel früher ansetzen müsste, gesellschaftlich: „Kunst hat sozialen Charakter“, sagt er. Eine Spruch wie aus einer anderen Zeit. Damals, als man sich noch für den Zusammenhang zwischen Knast und Gesellschaft interessierte. MARTIN REICHERT