: Privatsphäre geschützt
Viele Arbeitgeber kontrollieren ihre Mitarbeiter. Arbeitsrechtler Reinhard Singer erklärt im Interview, was der Arbeitgeber darf und was nicht. Privates Telefonieren etwa ist nur mit Erlaubnis zulässig
REINHARD SINGER, 56, ist Professor für Bürgerliches Recht und Arbeitsrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin.
VON SVEN KULKA
taz: Herr Singer, darf der Arbeitgeber seine Mitarbeiter überwachen?
Reinhard Singer: Das kann man so allgemein nicht mit Ja oder Nein beantworten.
Wann ist es erlaubt?
Eine Überwachung ist erlaubt, wenn der Verdacht von Straftaten oder Pflichtverletzungen besteht. Im Einzelfall hängt die Zulässigkeit von Überwachungsmaßnahmen von der Art der Überwachung und der Intensität des Eingriffs in die Rechtsstellung des Arbeitnehmers ab.
Darf der Arbeitgeber privates Telefonieren verbieten? Kann es ein Kündigungsgrund sein?
Der Arbeitnehmer darf während der Arbeitszeit nur mit Erlaubnis des Arbeitgebers privat telefonieren. Unerlaubte Privatgespräche stellen eine Vertragsverletzung dar. Der Arbeitgeber kann dann kündigen, muss aber in weniger schweren Fällen vorher abmahnen. Die Regelungen sind allerdings von Firma zu Firma sehr unterschiedlich.
Ist es denn zulässig, dass der Chef private Telefonate mit- oder abhört?
Das Mithören oder die Aufzeichnung von Telefongesprächen dienstlicher und privater Art bedeutet einen schwerwiegenden Eingriff in das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers sowie eine Verletzung des Fernmeldegeheimnisses. Wer diese Rechte missachtet, macht sich strafbar. Nur in Ausnahmefällen kommt eine Rechtfertigung in Betracht, etwa wenn durch die Überwachung Unterschlagungen oder der Verrat von Betriebs- oder Geschäftsgeheimnissen aufgedeckt werden soll und es gerade auf den Inhalt des Gesprächs ankommt. Der Arbeitgeber darf aber das pflichtgemäße Verhalten der Arbeitnehmer kontrollieren, indem er Datum, Uhrzeit, Dauer und Zielnummer von Gesprächen protokolliert. Eine solche technische Überwachung unterliegt aber dem Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats.
Darf der Arbeitgeber verbieten, dass man privat E-Mails schreibt? Kann er einem deshalb kündigen?
Der Arbeitgeber kann die private Nutzung generell verbieten oder mit Einschränkungen zulassen, zum Beispiel in Arbeitspausen. Probleme treten immer auf, wenn klare Regelungen fehlen. Die private Nutzung des Internets ohne Erlaubnis kann einen Kündigungsgrund darstellen, insbesondere wenn eine nicht ganz unerhebliche Nutzung während der Arbeitszeit erfolgt, Seiten aufgerufen werden, die wegen ihres Inhalts den Arbeitgeber in Misskredit bringen können, oder wenn gefährliche Dateien heruntergeladen werden.
Darf der Chef private E-Mails selbst lesen?
Wie das Mithören von Telefonaten ist es meines Erachtens grundsätzlich unzulässig, E-Mails von Mitarbeitern zu lesen, es sei denn, der Arbeitgeber hat die private Nutzung verboten. E-Mails dürfen dann nur dienstlichen Charakter haben. Verstößt der Arbeitnehmer gegen dieses Verbot, überwiegt das Interesse des Arbeitgebers an der Aufdeckung der Pflichtverletzung das Interesse des Arbeitnehmers am Schutz seiner Privatsphäre.
Dürfen denn Detektive auf Arbeitnehmer angesetzt werden?
Innerhalb des Betriebs ist ihr Einsatz unproblematisch, wenn ein allgemeiner Verdacht von Straftaten besteht und innerbetriebliche Aufklärungsmöglichkeiten nicht vorhanden sind, etwa bei erheblichen Inventurdifferenzen oder bei Warenschwund. Arbeitnehmer dürfen auch in eine „Verführungssituation“ gebracht, aber nicht durch Provokateure zu einer Straftat angestiftet werden. Soll jedoch der Detektiv Arbeitnehmer außerhalb des Betriebs überwachen, bedarf es eines konkreten Anfangsverdachts. Liegt dieser vor, ist die Überwachung einzelner Arbeitnehmer im öffentlichen Raum und in allgemein zugänglichen Gebäuden erlaubt. Der Detektiv darf aber keinesfalls in den privaten Wohnbereich eindringen oder intime, nicht mit dem Arbeitsverhältnis zusammenhängende Umstände ausspionieren.
Muss der Chef wissen, welche Krankheit ein Mitarbeiter hat?
Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, die der Arbeitnehmer im Krankheitsfalle vorlegen muss, enthält keine Informationen zu Art und Ursache der Erkrankung. Wenn der Arbeitgeber Zweifel an der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit hat, kann er von der Krankenkasse verlangen, dass diese eine gutachtliche Stellungnahme des Medizinischen Dienstes zur Überprüfung der Arbeitsunfähigkeit einholt. Art und Ursache der Krankheit werden dem Arbeitgeber aber nicht mitgeteilt. Über ansteckende Krankheiten muss der Arbeitnehmer aber informieren.
Darf der Chef Mitarbeiter über die Leistung von Kollegen ausfragen?
Der Chef hat nicht nur das Recht, sondern sogar die Pflicht, die Arbeitsleistung der Beschäftigten zu kontrollieren. Das Fehlen von Überwachung und Führung wird schnell als Desinteresse wahrgenommen und führt zur Selbstorganisation, deren negative Erscheinung etwa das Mobbing ist. Der Chef darf aber nur solche Fragen stellen, die die Arbeitsleistung betreffen, nicht etwa die Privatsphäre ausforschen.
Wie sollten Mitarbeiter reagieren, wenn sie merken, dass sie überwacht werden?
Sie sollten sich zunächst selbstkritisch fragen, ob sie eine Pflichtverletzung begangen haben, die eine Überwachung rechtfertigen könnte. Sind sich die Arbeitnehmer unsicher, sollten sie Rechtsrat bei der Gewerkschaft oder bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht einholen. Falls die Überwachung rechtswidrig ist, kann auf Unterlassung und Entschädigung geklagt werden, was aber erst dann ratsam ist, wenn sich der Arbeitgeber geweigert hat, die unzulässige Überwachung einzustellen.