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Archiv-Artikel

Erderschütterung

Wissenschaftler und Künstler diskutieren in Berlin über „Kunst als Forschung“, um traditionelle Fächergrenzen zu überschreiten

VON BIANCA SCHRÖDER

Aus den Lautsprechern dringt ein Rauschen, zuweilen begleitet von einem zarten Blubbern oder einem lauteren Ploppen. Florian Dombois deutet auf einen Fahrradsattel, der vor einem Parabolspiegel installiert ist. „Wenn man sich dort hinsetzt, spülen die Geräusche wie ein Klangmeer auf den Besucher ein“, erläutert der Künstler aus Bern. Was nach gestörtem Rundfunkempfang klingt, ist harte Wissenschaft – und Kunst. „Surf“ hat Dombois seine Klanginstallation genannt, die Erdbebenklänge von 21 Messstationen rund um den Globus abspielt. Sie ist eines der neun Werke, die diese Woche in einer Ausstellung mit dem Titel „Art as Research“ in der Villa Elisabeth in Berlin-Mitte zu sehen sind. Die Ausstellung ist Teil der internationalen Konferenz „Figurations of Knowledge“ der Society for Literature, Science, and the Arts (SLSA), bei der noch bis Samstag rund 250 Wissenschaftler und Künstler ihre Arbeiten präsentieren.

Viele Geisteswissenschaftler scheuen im Allgemeinen vor einer Beschäftigung mit dem „harten Wissen“ der Naturwissenschaften zurück. Die traditionellen Grenzen ihrer Fächer zu verlassen, ist den einen ein zu großes Risiko – nicht nur in methodischer und theoretischer Hinsicht, sondern auch weil die Grenzgänger zwischen den Disziplinen es noch immer schwer haben, ihren Platz im akademischen Betrieb zu finden. Andere vertreten die Überzeugung, auch Physik oder Chemie produzierten wie die Literatur oder Psychologie letztlich nur „Narrative“, Versionen der Wirklichkeitsdeutung, und bedürften daher keiner gesteigerten Aufmerksamkeit.

Die Organisatoren der Konferenz in Berlin verfolgen einen anderen Ansatz. Sie sind der Überzeugung, dass die Geisteswissenschaften die Beschleunigung des Wissens, die wachsenden Datenmengen der Naturwissenschaften für sich produktiv machen können. Die Konferenz widme sich der Rolle der Kunst bei der Etablierung und der Vermittlung von Wissen, erläuterte Mitorganisatorin Sabine Flach vom Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin während der Eröffnung der Konferenz am Montag. Ziel sei es, „Kunst und Wissenschaft“ nicht als Gegensatzpaar zu denken, sondern eine gemeinsame Denkkultur zu entwickeln. Ein Ansatz ist dabei die kulturelle Bewertung von Fortschritten etwa in der Molekularbiologie oder der Biotechnologie. Kunst solle jedoch die Erkenntnisse der Naturwissenschaften nicht nur reflektieren, sondern selbst produktiv werden. „Es geht darum herauszufinden, wie die eigenen Gedanken verändert werden können, wenn man sie in einem anderen Wissensgebiet ausprobiert“, sagt Flach.

Die Konferenzteilnehmer gehen diese Aufgabe auf ganz verschiedene Weise an: Die Soziologen Zdenek Konopásek (Karlsuniversität Prag) und Jan Palecek (Masaryk-Universität Brünn) etwa nahmen bei ihrer Analyse des Horrorfilms „Der Exorzismus von Emily Rose“ psychiatrische und spirituelle Erklärungen für die Besessenheit der Protagonistin gleichermaßen ernst. Carol Colatrella (Georgia Tech) analysierte die Darstellung von Frauen als Naturwissenschaftlerinnen in Hollywood-Filmen und kam zu dem Ergebnis, dass die körperliche Attraktivität dieser Frauen eine größere Rolle spiele als ihre Kompetenz als Wissenschaftlerinnen. „Diese Filme stärken kaum das Bewusstsein dafür, dass Frauen in den Naturwissenschaften unterrepräsentiert sind“, sagte sie. Das „Bauchgefühl“ als „Intelligenz des Unbewussten“ nimmt sich Gerd Gigerenzer vom Berliner Max-Planck-Institut am Freitag zum Thema, am Samstag spricht Sigrid Weigel vom Zentrum für Literatur- und Kulturforschung Berlin über neue Forschungsergebnisse zum Thema Emotionen in Hirnforschung, Neuroimaging und Psychologie.

Eine gelungene Verbindung verschiedener Disziplinen stellt auch der Fotograf und Wissenschaftler Mika Elo von der Universität für Kunst und Design in Helsinki her. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit Walter Benjamins Sprachphilosophie und der Aufgabe des Übersetzers, in seinen künstlerischen Arbeiten geht es ihm um die Sprache der Fotografie. Seine Installation „Singing Lessons for Photography“ zeigt die steigenden und fallenden Wassertropfen einer Fontäne in einem Park. In ihrer Bewegung eingefroren erscheinen die Wassertropfen und sind dabei doch offensichtlich keine statischen, unbeweglichen Formen. Alle Motive tauchen in der Installation mehrfach auf, jedoch ist ihre Anordnung stets unterschiedlich – ein Spiel mit der Idee einer Variation in der Wiederholung, die auch für die Übersetzung von Texten von einer Sprache in eine andere charakteristisch ist. Wie Dombois’ Installation ist auch Elos Arbeit mit einer gewissen Ironie zu nehmen – und erweckt wie diese den Eindruck, dass eine Grenzüberschreitung zwischen verschiedenen Disziplinen nicht nur möglich, sondern sogar mit Vergnügungen verbunden ist.

Das Programm zur Konferenz ist unter www.zfl.gwz-berlin.de zu finden