Quotenintellektuelle Emigranten

Dürfen Medien Probleme mit Migranten aufgreifen? Oder haben sie nicht eine Verantwortung als Meinungsbildner und müssen mit positiven Berichten die interkulturelle Integration fördern? Darüber diskutierten Medienschaffende in Bremerhaven

Fanatisiert in seiner Religion wird ein Türke zum Ehrenmord-Täter. Schwarzafrikaner verticken Drogen und sind sexuell provozierend attraktiv. Besoffene Jugendliche osteuropäischer Prägung schlagen einen zufällig Vorbeischlendernden zusammen. Das sind negative Stereotypisierungen, klar, aber sie haben ihren Ursprung im realen Leben gleich um die Ecke. Dürfen Medien solche Probleme aufgreifen? Oder haben sie nicht eine Verantwortung als Meinungsbildner und müssen mit positiven Berichten über Zuwanderer die interkulturelle Integration fördern? Dirk Hansen, Programmdirektor bei Radio Bremen, qualifiziert diesen Einwurf aus dem Auditorium der Tagung „Migration und Medien“ als „politische Korrektheit“ ab. „Wir müssen authentisch bleiben.“

Zu diesem Disput hatte Norddeutschlands Filmförderanstalt Nordmedia vergangenen Donnerstag und Freitag ins Auswandererhaus nach Bremerhaven geladen. Im Mittelpunkt der Veranstaltung steht die Repräsentation von Auswandererwelten in Film und Fernsehen. Hier und heute. Und in Hamburg. Dazu ist Regisseur Özgür Yildirim geladen. Er geht diejenigen, die früher Gastarbeiter hießen und heute Menschen mit Migrationshintergrund genannt werden, frontal an. Im Neo-Gangsterfilm „Chiko“ sind gewaltblöde, türkischstämmige Typen mit rüdem Vokabular und lächerlichen Angeberuhren zu erleben – sowie einem kruden Konzept, Respekt zu erhaschen: wer keinem Menschen Respekt bezeuge, werde irgendwann respektvoll behandelt. Brutalst führt Yildirim den so Sozialisierten vor Augen: Hey Leute, ihr verwechselt da Angst vor Gewalt mit Respekt.

Auch aus dieser Perspektive gehöre die Migrantenthematik ins öffentlich-rechtliche Fernsehen, sagt NDR-Redakteurin Jeanette Würl, „irgendwann nach 23.30 Uhr“. Ein „Tatort“ um 20.15 Uhr müsste sich mit der Kopplung von migrantischer Männlichkeit und Kriminalität, Gewalt und Dummheit sicherlich den Vorwurf gefallen lassen, Migration als Bedrohung darzustellen und Vorurteilen Vorschub zu leisten.

Aus wiederum anderer Perspektive wird Migration seit zwei Jahren dem Voyeurismus, der Neugierde und der Unterhaltung zugeführt. Vorreiter für die Auswanderer-Reportage-Serien bei Vox, RTL und Pro 7 ist „Meine neues Leben“ bei Kabel 1. Chefredakteurin Tanja Deuerling erläutert, warum das Format zum TV-Hit avancierte: Mehr als 100.000 Menschen verlassen jährlich die Bundesrepublik aus vornehmlich wirtschaftlichen Gründen, nach einer Forsa-Umfrage hätten sogar 40 Prozent der Deutschen schon daran gedacht auszuwandern. 40 Bewerbungen bekomme Kabel 1 wöchentlich von Menschen, die raus aus Deutschland und ihre Abschiedstränen im Fernsehen zeigen wollen. Emigration als emotionale Show. Andersherum funktioniert es nicht. Im Quotenrausch hat Kabel 1 auch versucht, nach Deutschland einwandernde Türken zu porträtieren, das habe kaum einer sehen wollen und wurde eingestellt, sagt Deuerling.

Hätten nicht andere Zuwanderer Interesse, so was zu schauen? Was gucken die überhaupt? Medienforscher Erk Simon legt eine WDR-Studie über 14- bis 49-jährige türkische TV-Gucker vor, nach der diese die „Sachlichkeit“ von ARD und ZDF schätzen, aber lieber die üblichen Serien auf den Privatsendern schauen. Nur 16 Prozent würden nie deutsches Fernsehen einschalten. Alle anderen schauen deutsches und türkisches TV. Simon: „Beides ist unverzichtbar für die Identitätsbildung.“ Und diese Zielgruppe natürlich auch unverzichtbar für die Medien. Wer gesellschaftliche Teilhabe und / oder Quote will, muss auch die 15 Prozent der Bevölkerung mit Migrationshintergrund bedienen. Und dabei die Mehrheitsgesellschaft nicht verschrecken.

So wird beispielsweise der Kommissar des Hamburger NDR-„Tatort“ mit einem türkischen Schauspieler besetzt: „Der quotenintellektuelle Emigrant“ mit gelungener Integration, wie während der Tagung formuliert wird. Und im Nachtprogramm folgen dann die „Chiko“-Schläger mit ihrer gescheiterten Integration. Widersprüchlichkeit als Authentizitätsbeweis für den Umgang der Medien mit dem Themenfeld Migration. JENS FISCHER