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Archiv-Artikel

Ehrenamtliche Provokationen

Die Bremer Frauenbeauftragte legt sich mit der Hamburger Michael-Stich-Stiftung an: Deren aktuelle Anti-Aids-Kampagne sei völlig verfehlt. Die Plakate zeigen todbringende Brüste und sargähnliche Kinderwagen

Aufklärung à la Stich: „Die Muttermilch macht‘s, dass Babys sterben“. Oder: „Das Kinn von Opa. Die Augen von Papa. HIV von Mama“

„Bürgerwehr in Bremen stoppt Anti-Aids-Kampagne“: Mit einer so betitelten Pressemitteilung protestiert die Hamburger Michael-Stich-Stiftung gegen das Ende einer Plakatkampagne. Bis Donnerstag war an den Bremer Straßenbahnhaltestellen eine Frau mit einem kleinen, Kinderwagen-ähnlichen Sarg auf Rädern abgebildet, dazu der Slogan: „Ganz die Mama. HIV-positiv“.

In Hamburg ist das Motiv noch zu sehen, ebenso in acht weiteren Städten: Die Stiftung des Ex-Tennisprofis will damit für einen verpflichtenden HIV-Test für alle Schwangeren werben. 98 bis 99 Prozent aller Kinder von infizierten Müttern könnten gesund zur Welt kommen, sagt die Stiftung, wenn die Infektion rechtzeitig bekannt sei. Auch die Bremer Frauenbeauftragte Ulrike Hauffe hält das routinemäßige Angebot eines HIV-Test für sinnvoll, die Stich-Kampagne aber für „völlig daneben“ – Hauffe ist die vermeintliche „Bürgerwehr“, sie habe die Plakate „verboten“, berichten verschiedene Medien.

Nun hat Hauffe zwar einen Sitz im Aufsichtsrat der Bremer Straßenbahn AG, verbieten kann sie jedoch nichts. Sie telefonierte lediglich mit der „Stadtmöblierungs“-Firma JCDecaux, die die Plakate im Mediawert von 410.000 Euro unentgeltlich aufgehängt hat, um ihre Kritik zu äußern: Bei allem Respekt für Stichs Präventions-Engagement gehe die Kampagne inhaltlich in die falsche Richtung, da bereits mehr als 90 Prozent aller Schwangeren den von den Krankenkassen bezahlten HIV-Test absolvierten – und nur bei zwei Prozent aller tatsächlich Infizierten eine Übertragung auf den Säugling stattfinde. Zweitens verunglimpfe die Kampagne Frauen als Täterinnen. Das Plakat-Motiv „Die Muttermilch macht’s, dass Babys sterben“, neben einer weiblichen Brust platziert, habe außerdem einen großen Anti-Still-Effekt. Hauffe: „Das ist gesundheitspolitisch völlig unverantwortlich.“

In Bremen war auch ein Kreißsaal-Bett samt Trauerflor und totem Säugling plakatiert, in anderen Städten ist noch bis Dienstag ein trauriges Kindergesicht zu sehen: „Das Kinn von Opa. Die Augen von Papa. HIV von Mama“. Kreativer Urheber der Kampagne ist die renommierte Hamburger Agentur Jung von Matt.

Die Stich-Stiftung ist bekannt für ihren rabiaten Umgang mit Kritikern. So wurde der Frankfurter Aids-Hilfe umgehend das Ende der finanziellen Zuwendungen in Aussicht gestellt, nachdem sich auch dort Protest gegen die Kampagne geregt hatte. Aber auch mit dem Verband der Bremer Frauenärzte geht die Stiftung hart ins Gericht: Wenn dieser darauf verweise, dass 2007 in ganz Deutschland nicht mehr als 16 HIV-infizierte Kinder geboren wurden, die Kampagne also „eine völlig falsche Nachricht kommuniziere“, sei das „ein Skandal“. Die Stellungnahme der FachärztInnen sei eine „Diskriminierung“ der derzeit 600 in Deutschland lebenden HIV-infizierten Kinder.

HENNING BLEYL