: Die Bremskraftverstärker
Der Klima-Kompromiss von Deutschland und Frankreich zum CO2-Ausstoß von Neuwagen stinkt
VON RICHARD ROTHER
Verzögern, verwässern, verhindern – die Lobby-Arbeit der deutschen Autoindustrie ist in Europa erfolgreich. Im Dezember legte die EU-Kommission einen Kompromiss zu Strafzahlungen für Autohersteller vor: Produzenten von Fahrzeugflotten, die die Grenzwerte für den Ausstoß des klimaschädlichen Gases Kohlendioxid (CO2) übersteigen, sollen zahlen. Nun haben sich die EU-Schwergewichte Deutschland und Frankreich im Grundsatz darauf geeinigt, genau diesen Kompromiss abzuschwächen. Das ergibt sich aus den inhaltlichen Punkten, die Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Frankreichs Staatspräsident Nicolas Sarkozy am Mittwochabend bei ihrem Treffen im bayrischen Straubing bekannt gaben.
Konkret soll den Autokonzernen eine längere Übergangsfrist zur Erreichung der CO2-Ziele eingeräumt werden. Statt 2012 soll der Grenzwert von 120 Gramm CO2 pro Kilometer, der im EU-weiten Durchschnitt der Fahrzeugflotten gelten soll, nun erst 2015 für alle Gültigkeit haben. Bis dahin muss jeweils nur ein Teil der Fahrzeuge diese Vorgaben erfüllen. Werden diese Vorgaben nicht erreicht, drohen den Herstellern Strafen. Diese sollen nach den Vorstellungen von Merkel/Sarkozy nun weniger verbindlich geregelt werden. Zudem soll es zusätzliche Strafrabatte geben.
Die Reaktionen auf den Straubinger Kompromiss ließen denn auch nicht lange auf sich warten: Während sich die deutsche Autoindustrie über mehr Planungssicherheit erfreute, übten die Umweltverbände wegen der abgeschwächten Klimavorgaben harsche Kritik. Der alternative Verkehrsclub Deutschland sprach am Donnerstag von einem „Verrat an den Klimazielen der EU“. Umweltverbände von einer „Schonfrist für Spritfresser“.
Die EU-Kommission nannte den Kompromiss zwar eine „wichtige Erklärung“, betonte jedoch, dass die Verhandlungen der 27 EU-Staaten weitergehen würden. Auch wenn wichtige Details immer noch unklar sind – die deutsch-französische Einigung zeigt, wohin die Reise in der europäischen Industriepolitik geht. Schließlich unterschieden sich die Positionen beider Länder, die ihre jeweiligen Autoindustrie schützen wollen, im Vorfeld stark. Während die französischen Konzerne, die überwiegend Klein- und Mittelklassewagen herstellen, strengeren CO2-Vorgaben relativ gelassen gegenüberstanden, liefen die deutschen Konzerne Sturm gegen strengere CO2-Vorgaben an. Sie produzieren überdurchschnittlich viele große Fahrzeuge, die mehr Kraftstoff verbrauchen und damit mehr Kohlendioxid emittieren.
Nun haben Merkel und Sarkozy in Straubing eine Lösung gefunden – auf Kosten des Klimaschutzes. Zwar müssen noch das EU-Parlament und der Ministerrat zustimmen; im Parlament stellen aber die bevölkerungsreichen Staaten Deutschland und Frankreich einen Großteil der Abgeordneten. Und da der Ministerrat in dieser Frage nicht einstimmig entscheidet, haben Merkel und Sarkozy – so die Details geklärt werden – auch hier gute Karten. Schließlich sind Länder wie Tschechien und Spanien, in denen deutsche Hersteller große Tochterunternehmen oder Zulieferer haben, der deutschen Position nahe.
Der bisherige EU-Vorschlag sieht vor, dass ab 2012 die durchschnittliche CO2-Emission der Neuwagenflotte in der EU maximal 120 Gramm pro Kilometer betragen soll. Davon sollen durch die Verbesserung der Motortechnik 130 Gramm und durch weitere Maßnahmen wie Leichtlaufreifen, Schaltanzeigen und die Anrechnung von Agrosprit die fehlenden zehn Gramm CO2-Einsparung erreicht werden. Basis für den angepeilten CO2-Wert ist das durchschnittliche Fahrzeuggewicht. Das heißt: Große und schwere Fahrzeuge dürfen mehr verbrauchen. Für BMW etwa errechnet die EU einen Zielwert von 137 Gramm pro Kilometer, für Renault sind es 127 (siehe Grafik).
Auch nach dem Merkel/Sarkozy-Kompromiss soll es bei dieser gewichtsabhängigen Berechnungsbasis bleiben. Umweltschützer fordern eine Berechnung, die sich auf die Grundfläche der Wagen bezieht. Dies würde Anreize zur Gewichtsreduzierung schaffen. Nach dem jetzigen Kompromiss soll die 120-Gramm-Zielvorgabe nun erst 2015 für die gesamten Fahrzeugflotten gelten. Außerdem sind keine verbindlichen Strafen mehr bei Nichteinhaltung vorgesehen. So genannte Öko-Innovationen, etwa andere Lampen in Scheinwerfern oder andere Kältemittel in Klimaanlagen, ermöglichen einen Strafrabatt.
Langfristig verabschieden sich Sarkozy und Merkel, die sich international gern als Klimaretterin inszeniert, von ehrgeizigen Plänen. So sollen langfristig 95 bis 110 Gramm CO2 pro Fahrzeugkilometer erreicht werden. Ursprünglich waren 95 Gramm vorgesehen, die Umweltverbände fordern 80 Gramm. Diese ließen sich durch eine Abrüstung– weniger PS, Gewicht und Hubraum – der Fahrzeuge sowie technische Innovationen erreichen (siehe unten). Dass sich die Autokonzerne bei steigenden Treibstoffpreisen ohne einem Strategiewechsel der Flottenpolitik durchaus selbst schaden können, zeigen die jüngsten Absatzzahlen in den USA. Im Mai brach der Markt für spritfressende Geländewagen ein, General Motors verkaufte davon 37 Prozent weniger und will vier Werke in den USA, Kanada und Mexiko schließen.