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Archiv-Artikel

Staatsanwalt ärgert Wutbürger

Wegen Wahlfälschung klagen Bremerhavener Ermittler Jan Timke an – kurz vor der Wiederholungswahl in Eckernfeld

„Auch kleinere Straftaten“, fordert das Wutbürger-Wahlprogramm, „müssen verfolgt und die Verantwortlichen rasch bestraft werden“

Jan Timke muss sich wegen des Verdachts der Wahlfälschung vor dem Amtsgericht Bremerhaven verantworten. Rund einen Monat vor der Wiederholungswahl im Ortsteil Eckernfeld hat die Staatsanwaltschaft Anklage gegen ihn erhoben.

Timke ist Spitzenkandidat der rechtspopulistischen Formation „Bürger in Wut“. Aufgrund deren Anfechtung hatte der Staatsgerichtshof Mitte Mai die Bürgerschaftswahl in diesem Stimmbezirk für ungültig erklärt und den erneuten Urnengang angeordnet. Die auf Listenplatz 2 kandidierende Annefriede Laue hat wegen des gleichen Delikts einen Strafbefehl über 90 Tagessätze erhalten.

Vorgeworfen wird ihnen, zur Wahl angetreten zu sein – ohne in Bremerhaven ihren Lebensmittelpunkt gehabt zu haben. Bei Laue war laut Oberstaatsanwalt Frank Schmitt die Beweislage einfach – daher der Strafbefehl. Der in Berlin stationierte Bundespolizist Timke hingegen hatte immerhin eine Einzimmerwohnung in Bremerhaven angemietet. Seiner eigenen Darstellung zufolge ist er gependelt. „Er war im fraglichen Zeitraum durchgängig im Schichtdienst“, meldet Schmitt Zweifel an. Und er habe auch seinem Dienstherrn den Wohnortwechsel nach Bremerhaven nicht angezeigt. „Auf der Wache war das bekannt“, sagt Timke, „in der Personalakte steht das auch.“ Nur in der Hauptpersonalakte nicht: „Ich hatte das nur an die vorgesetzte Dienststelle nicht weitergemeldet.“ Die wäre aber formal zuständig gewesen.

Angeklagt zu werden ist nie angenehm. Kurz vor dem Termin der gerade erst erstrittenen Wiederholungswahl – da ist es schon besonders ungünstig. Im Mai 2007 hatten die Wutbürger den Einzug in die Bürgerschaft um exakt eine Stimme verfehlt. Die wollen sie sich jetzt in Eckernfeld holen. Leidtragende wäre die SPD: Die verlöre ein Mandat. Entsprechend feierten die Genossen die Mitteilung der Staatsanwaltschaft, als wäre sie ein knalliger Schuldspruch: „Nun haben wir es schwarz auf weiß“, polterte Fraktions-Vize Martin Günthner, dass die Wutbürger „ihre Landtagskandidatur erschlichen haben“ . Er bezeichnete es als „bitter“, dass „Wahlbetrüger Timke“ wählbar bleibe. Andere nennen es rechtsstaatlich. „Die Anklageerhebung ist für uns nur ein Indiz“, so Landeswahlleiter Jürgen Wayand. „Am Wahlakt ändert das nichts“, und der Stimmzettel dürfe schon mal gar nicht geändert werden: „Der ist in Stein gemeißelt.“ Und „wenn ein Bewerber gewählt wird, muss er berufen werden.“

Timke jedenfalls macht sich Sorgen um den Wahlkampf: „Wir werden ja dargestellt, als wären wir Verbrecher.“ Das ist besonders ungünstig, wenn man als Vertreter einer „Renaissance konservativer Werte und bürgerlicher Tugenden“ an den Start geht und die Forderung nach „Null-Toleranz für Kriminalität“ ein Eckpfeiler des Wahlprogramms ist: Selbst „kleinere Straftaten“, heißt es darin, „müssen verfolgt und die Verantwortlichen rasch bestraft werden“. Auch sein eigenes Verfahren hat Timke zu lang gedauert: „Mich wundert, dass hier zehn Monate ermittelt wird und plötzlich nach der Staatsgerichtshofsentscheidung Anklage erhoben wird.“ Er könne sich „des Eindrucks nicht erwehren, dass es sich auch um ein politisches Verfahren handelt“, sagt Timke.

Das ist, gewunden formuliert, ein steiler Angriff auf die Justizbehörden. Die Ermittlungen seien „streng nach den Regeln der Strafprozessordnung durchgeführt“ worden, kontert Schmitt. Auch das Gericht muss für die Anklageerhebung grünes Licht geben – und das, so der Oberstaatsanwalt, hätte sich „ja wohl schwerlich auf ein politisches Verfahren eingelassen“.

Nein, die Ermittlungen seien ordentlich und in Bremerhaven selbst sogar zügig erledigt worden, eben „wegen seiner hohen Bedeutung“. Zu Verzögerungen habe geführt, dass „nötig, war auch in Berlin zu ermitteln.“ Dafür musste man auf die Amtshilfe der dortigen Polizei zurückgreifen – wo es keine so große Priorität hatte. „Darauf“, sagt Schmitt „haben wir leider nur sehr begrenzte Möglichkeiten der Einflussnahme“.

BENNO SCHIRRMEISTER