: Revolution mit Hindernissen
Manchmal kommt einem das Theater als Sinnstiftungsinstanz gerade recht. Doch leider offenbarten viele der am Wochenende im Rahmen von „JUNG. Rebellion und Melancholie“ im Maxim Gorki Theater gezeigten Stücke eine gewisse Planlosigkeit
VON ANDREAS RESCH
Für den trendbewussten Mittelstandsrebellen von heute stellt sich mehr denn je die Frage, wogegen er eigentlich noch rebellieren will. Gegen Staatsgewalt, Krieg oder die eigenen Eltern? Alles schön und gut, aber irgendwie auch wenig originell. Gibt man das Wort Rebellion als Suchbegriff bei Google ein, stößt man als Erstes auf eine deutsche Power-Metal-Band, deren Mitglieder wie eine Mischung aus den Protagonisten einer D-MAX-Tätowiershow und der Crew einer B-Science-Fiction-Serie auf RTL-2 aussehen. Im weiteren Verlauf trifft man auf eine gleichnamige englische Videospiele-Firma und auf einen amerikanischen Hersteller von Eishockeyzubehör.
Wogegen rebellieren? Eine Antwort auf diese und ähnliche Fragen wollte am Wochenende auch das Festival „JUNG. Rebellion und Melancholie“ im Maxim Gorki Theater geben. Ein durchaus passender Ort, schließlich wurde hier vor 160 Jahren, wenige Monate nach der Märzrevolution, die Preußische Nationalversammlung einberufen. In Stücken wie Armin Petras’ Adaption von Clemens Meyers Roman „Als wir träumten“, Jörg Albrechts „Stell dir deinen Körper vor“ oder Darja Stockers „Zornig geboren“ sollte eine Reflexion postmodernen Rebellentums vollzogen werden. Die im Veranstaltungstitel erwähnte Melancholie diente dabei als konzeptioneller Gegenpol. Die Frage war, inwieweit es den Stücken gelingen würde, innerhalb dieser Dichotomie originelle Ideen zu entwickeln.
Bevor es ernst wurde, durfte man jedoch erst einmal an der gut besuchten Rebel Academy, einer „Weiterbildung für Revolutionäre“, sein Revoluzzerpotenzial austesten. In einem vor dem Theater angelegten, von umgestürzten Autos eingegrenzten Erlebnisparcours konnte man auf einem Laufband den „Marsch durch die Institutionen“ antreten oder ein „Bekennervideo“ drehen. Unter dem Motto „Protestsongs“ sangen Jungs in Gummistiefeln „TNT“, „We will rock you“, später „Verdammt, ich lieb dich“ von Matthias Reim, während sich Kleinkinder gegenseitig mit Wasserpistolen jagten.
Während die Rebel Academy einen eher ironischen Zugang zur Thematik wählte, versuchten sich die Stücke zumeist an einer ernsthafteren Auseinandersetzung, was allerdings nicht immer glückte. In „Als wir träumten“ wurde Rebellion als inhaltsleere Pose zur Schau gestellt. In fast schon bestürzender Harmlosigkeit inszenierte Armin Petras ein Kasperletheater um fünf problembeladene Jungs in der Leipziger Vorstadt, welches Meyers Roman nicht annähernd gerecht werden konnte.
Interessanter war da schon Jörg Albrechts „Stell dir deinen Körper vor“, neben „Zornig geboren“ und „Agnes Braun“ von Tine Rahel Völcker eines jener Stücke, die extra im Hinblick auf das Festival geschrieben worden waren. Zwei Männer und zwei Frauen diskutierten in einem mit Technologieslang und Anglizismen angereicherten Kauderwelsch über Populärkultur, tanzten zu lauter Musik und sahen sich – mit extra miesem Voice-over unterlegte – Videofilme an. Es ging um Selbstwahrnehmung, um Kindheitserinnerungen, „Das letzte Einhorn“, Clubkultur, Medialisierung und die Manipulierbarkeit von Bildern.
Auch wenn die Sprache, die der Autor seinen Figuren in den Mund gelegt hat, noch so perfekt rhythmisiert war: Inhaltlich war das Ganze ein wenig unreflektiert. Ständig gaben Albrechts Protagonisten Sätze von sich, in denen Wörter wie Spam, Webcam, Fashionblog oder Phrasen wie „Stills von Filmen, die nie gedreht werden“ vorkamen, was zwar ganz lustig war, gleichzeitig aber auch wenig originell. Poppig-elegant surfte das Stück auf den glitzernden Oberflächen der urbanen Kultur. Sie zu durchbrechen gelang ihm dabei nicht.
„Zornig geboren“ der Schweizerin Darja Stocker war da schon um einiges komplexer. Das noch unfertige Stück – wie bei „Stell dir deinen Körper vor“ handelte es sich um eine Werkstattaufführung – erzählte fragmentarisch aus dem Leben von Angehörigen dreier Generationen: Während Sophie nicht so recht weiß, was sie mit ihrem Leben anfangen soll – reisen, studieren, anderen helfen? –, stolpert ihr Vater von einem Unglück ins nächste und philosophiert nebenbei über aussterbende Lachse. Großmutter Olivia schließlich, eine ehemalige Pianistin, versucht, die jüngeren Generationen zu verstehen, und gibt esoterische Lebensweisheiten von sich.
Das Beeindruckende an Darja Stockers Stück ist allerdings nicht die einigermaßen absurde Handlung, sondern vielmehr, wie hier, scheinbar en passant, ein komplexes Netz von Verweisen gesponnen wird: Es geht um Revolutionen, die französische etwa oder die chilenische, und um die damit verbundene Frage nach der Deutungshoheit: Wer definiert eigentlich, ob eine Revolution geglückt ist oder nicht? Und was geschieht mit denjenigen, die sich das alles eigentlich ganz anders vorgestellt haben?
Immer wieder laufen Gegenwart und Vergangenheit aufeinander zu, um sich kurz darauf wieder voneinander zu entfernen.
Aufgrund seines ausdifferenzierten Umgangs mit der Frage, was Rebellion ausmacht, war „Zornig geboren“ sicherlich Höhepunkt eines nicht immer überzeugenden, aber durchaus unterhaltsamen Theaterwochenendes, das allerdings die Beantwortung einer Frage bis zum Schluss schuldig geblieben ist: Was hatte das Ganze eigentlich mit Melancholie zu tun?