: „Die Fifa ist lustig“
Der Politologe Andrei S. Markovits über die Rolle des guten alten Nationalismus im globalisierten Fußball
ANDREI S. MARKOVITS, Jahrgang 1948, Professor für Politikwissenschaft und Soziologie an der University of Michigan, schrieb zuletzt zusammen mit Lars Rensmann „Querpass: Sport und Politik in Europa und den USA“.
taz: Herr Markovits, überall in Europa werden nun die Flaggen geschwenkt, vor allem auch türkische und deutsche. Nimmt der Nationalismus durch die Fußball-EM zu?
Andrei S. Markovits: Ich bin während der ganzen EM in Wien, und mich hat hier ein befreundeter amerikanischer Soziologe besucht. Er kennt sich sehr gut aus mit Europa, hat aber keine Ahnung von Fußball. Seine erste Frage am Flughafen war: „Wo ist Europa?“ Er glaubte, dass ein Sportfest, das Europa im Namen trägt, doch auch durch europäische Symbole begleitet werden sollte. Aber er sah lauter deutsche, kroatische, polnische, österreichische Flaggen. Der alte Nationalismus nimmt während eines solchen Turniers sehr stark zu. Gleichwohl wird es auch als europäisches Event wahrgenommen: Hier wird die beste europäische Fußballnation ermittelt. Als europäischer Sport verbindet der Fußball die europäischen Gesellschaften. Andererseits sorgt die Kultur der Fußballanhänger, des Fantums, für Entzweiung und ruft atavistische Gefühle des Nationalismus hervor.
Das klingt nach dem „gemeinsamen Haus Europa“ von Gorbatschow?
In etwa so. Man streitet sich unter einem Dach darüber, wer den besten Fußball spielt. Und wenn das die europäischen Nationen tun, hat das ja auch für den Weltfußball große Bedeutung.
Kann denn der fußballerische Wettstreit der Nationalstaaten qualitativ mit dem der kapitalistisch organisierten Klubs mithalten?
Auf keinen Fall. Das Champions-League-Finale zwischen Manchester United und Chelsea FC war fußballerisch besser als jedes Spiel, das wir während der Euro gesehen haben oder noch sehen werden.
Aber dennoch binden Länderspiele mehr Gefühle als ein Champions-League-Spiel.
Nein, das bezweifle ich. Ein ManU-Fan investiert viel mehr Emotionen in einen Champions-League-Auftritt seines Teams als in ein Länderspiel Englands. Auch ein echter Bayern-München-Fan wird ein Spiel beispielsweise gegen AC Milan wichtiger oder zumindest genauso wichtig finden wie eine Partie zwischen Deutschland und Italien. Das Besondere ist lediglich, dass das emotionale Mitfiebern breiter ist. Für Deutschland fiebern nicht nur die Bayern-Anhänger, sondern auch die aus Dortmund, aus Schalke et cetera. Daher erscheint der Zuspruch zu Nationalteams größer.
In vielen Nationalteams finden sich Spieler mit zwei Staatsangehörigkeiten, die sich bewusst für eine Mannschaft entschieden haben. Und es gibt immer mehr naturalisierte Spieler, vor allem aus Brasilien. Wird der globalisierte Fußballmarkt eine Gefahr für die Nationalmannschaften?
Nein, das ist doch jeweils gerade mal ein Brasilianer. Der Weltmarkt würde die Nationalteams nur dann aufheben, wenn es ganze Teams oder zumindest Mannschaftsteile gäbe, die eingekauft werden könnten.
Aber könnte das nicht ein grundlegender Trend sein, der sich ankündigt?
Nein, Fifa-Präsident Sepp Blatter hat ja schon angekündigt, dagegen vorgehen zu wollen. Nebenbei bemerkt ist es ja schon sehr lustig, dass die Fifa glaubt, den Nationalstaaten Vorschriften machen zu können, was deren ureigenstes Recht ist; nämlich über Staatsbürgerschaften zu entscheiden.
Sind das nicht alles Vorboten von einem Ende des alten Nationalismus?
Der alte Nationalismus ist viel zu stark, als dass er so leicht auszuhebeln wäre. Ein komplett ausländisches Team zu verpflichten, das kann sich vermutlich nicht mal eine europäische Klubmannschaft leisten, zumindest keine mit einem großen Fananhang, der ja auch immer einen Machtfaktor darstellt.
INTERVIEW: MARTIN KRAUSS