: Hamstern unter dem Halbmond
Hupkonzert, Autokorso, Feuerwerk – die Dreieinigkeit einer jeden türkischen Siegesfeier, zuletzt in schöner Regelmäßigkeit in diversen deutschen Großstädten zu bewundern. Vom Erfolg seiner eigenen Mannschaft komplett überrascht, reibt sich der berufspessimistische Deutsche allerdings verwundert die Augen: Die Türken scheinen den Halbfinaleinzug ihrer Mannschaft siegessicher vorhergesehen zu haben! Wie sonst ist es zu erklären, dass sie über ein scheinbar unerschöpfliches Sortiment türkischer Leuchtreklame verfügen? Eine geradezu beneidenswerte Anzahl von Silvesterraketen, Böllern und Funzeln aller Art ging nach dem Viertelfinalsieg gegen Kroatien am Berliner Himmel auf. Die deutsche Performance war im Vergleich eher läppisch.
Wie konnte es dazu kommen? Ein Erklärungsversuch. Nicht nur Günter Netzer beklagt, die oft zitierten „deutschen Tugenden“ seien auf dem Fußballplatz schon lange nicht mehr exklusiv den DFB-Kickern vorbehalten. Längst gepflegt von jeder besseren Zweitligamannschaft, haben einige europäische Auswahlteams sie zu bisher unbekannter Blüte getrieben: Laufen, Kämpfen, Gras fressen – können andere inzwischen mindestens genau so gut wie Ballack, Mertesacker und Co.
Und wer könnte uns tagtäglich besser ausspionieren, analysieren und zu guter Letzt auch kopieren als die in Deutschland lebenden Türken? Bezogen auf das Problem der Böllerüberlegenheit liefert das die schockierende Erkenntnis: Auch die letzte urdeutsche Tugendbastion scheint gefallen. Und wird nun von einer anderen Nation gegen uns verwandt: das Hamstern. Die Fans des Halbmondes haben Böller gehamstert!
Sie haben sich ihren Bedarf ordentlich ausgerechnet, die benötigten Böller in kleinen Bündeln (wahrscheinlich ordentlich beschriftet mit „Viertelfinale“, „Halbfinale“, und ja, auch das: „Finale“) gewissenhaft wasserfest verpackt im Kellerschrank neben den Liegestühlen eingelagert und kramen sie nun, wo ihre akribische Rechnung mit den sechs Spielen bis zum Titel so wunderbar aufgeht, portioniert hervor. Und während die pessimistischen Deutschen schlecht vorbereitet in die Halbfinal-Afterparty steigen, beschleicht uns in den bangen Stunden vor dem Spiel eine dunkle Ahnung: Sie werden uns mit unseren eigenen Waffen schlagen. DÖRTE SCHÜTZ