: Winnetou–Batman 1 : 0
In dieser Stadt ist nur Platz für eine Art: Bleichgesichter und Fledermausschützer ziehen in Bad Segeberg voreinander den verbalen Colt. Gezankt wird über einen bröckelnden Berg – den einen gilt er als Domizil gefährdeter Tiere, den anderen als Touristenmagnet dank Freilichtbühne
AUS BAD SEGEBERG JESSICA RICCÒ
Beeindruckend löscht Old Firehand die brennende Ölquelle: Eine Stange Dynamit schmeißt er in den Schacht. „Das ist doch Wahnsinn!“ denkt sich Ölbaron Emery Forster, und Old Firehand kann sich natürlich ganz knapp nur in Deckung begeben, bevor der Brand mit einem Knall erlischt. Natürlich hatte der Pelzjäger recht und macht seinem Namen mal wieder alle Ehre. Und es soll nicht das letzte Feuer in New Venango sein, an diesem Samstagabend. Bei den Karl-May-Spielen in Bad Segeberg zu arbeiten, muss der Traumjob eines jeden Pyrotechnikers sein: Neben mehreren Schießereien gibt es ein in Brand gesetztes Haus, zwei brennende Tipis, einen Stuntman in Flammen und die Explosion einer Öl-Ader.
Doch neben den Assiniboins, Poncas und Bleichgesichtern leben in Bad Segeberg, also dem echten, auch andere Minderheiten: das Große und das Kleine Mausohr, nicht etwa Indianersternzeichen, sondern Fledermausarten. Und davon gleich 20.000 – das sind ziemlich viele, gemessen daran, dass das Große Mausohr erst vor zwei Jahren wieder am Kalkberg gesichtet wurde und Fledermäuse ziemlich paarungsfaul sind. In der Regel werden die Weibchen jährlich mit nur einer einzigen Nachwuchsfledermaus schwanger, und selbst die beginnt nach der Befruchtung erst bei günstiger Witterung zu wachsen – wenn nicht, dann eben nächstes Jahr.
Etwa 200 Meter vor dem Eingang zum Wilden Westen gabelt sich der Fußweg, der den Kalkberg hinauf führt: „Noctalis“ links, „Karl-May-Spiele“ rechts. Ersteres ist eine Fledermausausstellung, bei der man die hängenden Tiere hinter einer Glasscheibe im Kalkberg ansehen kann. Und dabei allerlei lernt: Wie sich die Tiere via Ultraschallwellen im Dunkeln orientieren etwa. Oder weshalb die vielen Vorurteile gegenüber den kleinen Batmans so unfair wie unbegründet sind.
Wo aber Rothäute, Bleichgesichter und Fledermäuse friedlich nebeneinander leben könnten, gibt es dennoch Zank: Der Kalkberg nämlich – strapazierte Kulisse der einen, Lebensraum der anderen – wurde zur Sicherung saniert, das heißt: mit weiteren Stahlträgern gestützt und zwei neuen Eingängen versehen, dazu sollten von Ankern getragene Netze vor weiterem Abbröckeln schützen. Bauarbeiten dieser Lautstärke fallen Fledermäusen nicht nur auf die Nerven, sie können sie auch aus ihren Höhlen vertreiben.
Ein paar Wochen lang stand darum auf der Kippe, ob „Winnetou und Old Firehand“ in diesem Jahr überhaupt aufgeführt werden kann. Der Naturschutzbund Nabu drohte zunächst mit Klage, falls die Stadt ihre Sanierungspläne tatsächlich umsetzen wollte, beschränkte sich dann auf den Vorschlag, die Karl-May-Spiele auf die am Stadtrand gelegene „Grüne Wiese“ zu verschieben. Undenkbar: Schließlich finden die Spiele seit 56 Jahren vor dem Kalkberg statt und außerdem soll die nämliche Grüne Wiese ja auch Standort eines neuen Elektromarktes werden – dort also ist kein Ausweichplatz zum Schutz der Fledermäuse und des weltweit einzigartigen Segeberger Höhlenkäfers.
So ist für die touristische Hauptattraktion Bad Segebergs noch mal alles gut gegangen und Ministerpräsident Peter-Harry Carstensen (CDU) konnte zur diesjährigen Eröffnung unter Beweis stellen, dass er 1. den korrekten Gebrauch von „als“ und „wie“ nicht immer beherrscht – „Diese Saison wird noch besser als wie letztes Jahr!“ – und 2. wirklich nicht Clint Eastwood ist: Per Revolver durfte er den Startschuss geben. Er drehte ihn ein Mal holprig um den Zeigefinger, ließ ihn beinahe fallen und probierte es mit einem Witz: „In meinem Kabinett sitzen ja auch noch ein paar Rothäute zum Erschießen, haha.“ Dann machte es doch noch „Peng!“, und ein wenig verzögert ging dann auch das Feuerwerk los.
Ribana, die weibliche Hauptrolle im diesjährigen Stück, ist eine Neubesetzung: Schauspielerin Maike von Bremen gab erst im Januar dieses Jahres ihren Ausstieg beim Seriendauerbrenner „Gute Zeiten – Schlechte Zeiten“ bekannt, es sei jetzt nach sechs Jahren Seifenoper an der Zeit für neue Herausforderungen. „Ribannas Geist muss frei sein wie die Tiere der Prärie,“ erklärt sie nun in „Winnetou und Old Firehand“.
Was höflich ausgedrückt bedeutet, dass Fräulein Häuptlingstochter unentschlossen ist zwischen ihrer Jugendliebe Winnetou und dem aufregenden Pelzjäger Old Firehand, der aber als Bleichgesicht eigentlich tabu ist. Eine Liebe also, die nicht sein darf, Ménage à trois, dann stirbt Vattern auf dramatischste Art und Weise am Tag ihrer Hochzeit – thematisch, könnte man sagen, hat sich nun nicht viel geändert für Maike von Bremen. Dafür gibt es in Bad Segeberg jede Menge Pferdereiten und Action. Und Erol Sander? Macht seine Sache wie schon in der letzten Saison gut – unter den Winnetou-Darstellern verhält er sich zu Pierce Brosnan wie Pierre Brice einst zu Sean Connery. Immerhin.
Mancher im Publikum reist schon als Cowboy oder Indianer verkleidet an. Wer in Zivil kommt, den kriegsbemalen eifrige Promotion-Indianer. Schließlich schwelgt hier der ganze Ort in Karl-May-Nostalgie, wenn Festspiele sind – auch wenn der Autor hierher so wenig kam, wie er den Wilden Westen bereiste. Egal: Bastelläden führen Federschmuck, das Rollenspielgeschäft nimmt Orks und Elfen aus dem Schaufenster – und ersetzt sie durch kleine Indianer.
Gegen sowas haben auch ein paar tausend Fledermäuse keine Chance. Ausgerechnet einen echten Adler lässt Winnetou noch über dem Publikum kreisen – einer ihrer wenigen natürlichen Feinde, ausgerechnet.