: Jung, weiblich, findetDer arbeitslose Ingenieur
Die Zahl der Arbeitslosen ist im Juni um 123.000 auf 3,16 Millionen gesunken, berichtet die Bundesagentur für Arbeit aus Nürnberg. Das entspricht dem niedrigsten Wert seit 16 Jahren. 12.509 offene Stellen für IngenieurInnen hat die Bundesagentur gezählt. Da aber nur etwa jeder dritte freie Platz gemeldet wird, gehen Arbeitsmarktexperten von mindestens 30.000 offenen Stellen aus. Vor allem Maschinenbauer, Elektrotechniker und Wirtschaftsingenieure werden gesucht. Der Verein Deutscher Ingenieure (VDI) zeichnet ein noch dramatischeres Bild: Bereits heute fehlten rund 95.000 IngenieurInnen. Die von der Bundesregierung neu eingerichtete Expertenkommission Forschung und Innovation prognostiziert, dass Deutschland in den nächsten fünf Jahren rund 100.000 Ingenieure und Naturwissenschaftler fehlen werden. Trotz des beklagten Fachkräftemangels verzichtet die Wirtschaft heute schon auf das Potenzial vieler Arbeitnehmer, insbesondere von Älteren. Im Juni waren 20.922 Ingenieure arbeitslos gemeldet, 42 Prozent davon waren über 50 Jahre alt. Das arbeitgebernahe Institut der deutschen Wirtschaft hat berechnet, dass allein wegen der Ingenieurlücke Deutschland 7,2 Milliarden Euro pro Jahr entgehen. Insgesamt falle wegen des Fachkräftemangels das Wirtschaftswachstum um einen Prozentpunkt niedriger aus. Das sieht das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) anders. Dort ist die Rede von einzelnen „Engpässen“, einen „flächendeckenden Fachkräftemangel“, der dem Wachstum schade, gebe es nicht. Noch nicht. Die Gegenmittel des IAB: mehr Studenten an die Unis, mehr Frauen in Technikberufe und mehr Einwanderer nach Deutschland. WOS
Gearbeitet, das hätte Kurt Essig, 63, gerne noch einige Jahre. Doch die Firma für Büro-Organisationsmittel in Stuttgart, die den Maschinenbauingenieur zwölf Jahre lang beschäftigt hatte, wurde aufgekauft und verlagerte einen Teil der Produktion nach Osteuropa und China.
56 Jahre alt war Essig damals. „Meine Funktion fiel durch den Rost“, sagt er. Einen Job als Ingenieur im Raum Stuttgart zu finden, dürfte nicht so schwer sein. Doch Essigs Erfahrung war eine andere. Vier Jahre lang durchforstete er Stellenanzeigen, schrieb 50 Bewerbungen, immer wieder wurden ihm Jüngere vorgezogen. „Wenn ich gesagt habe, dass ich 58 bin, dann war das der Sargnagel für die Bewerbung.“
Und noch etwas wurde ihm zum Nachteil ausgelegt: In Sachen EDV war er nicht auf dem neuesten Stand. „Power-Point-Präsentationen und all diese Dinge, darum haben sich früher Mitarbeiter von mir gekümmert“, sagt er. „Aber das kann man ja auch lernen.“
Mit 60 ließ Essig sich frühverrenten. Finanziell sei das kein Problem, die Betriebsrente ist gut. Aber verstehen kann Essig all das nicht: „Die Industrie klagt über Fachkräftemangel. Und gleichzeitig sitzen tausende Ältere auf dem Sand.“
Sich in sein Häuschen im Neckartal zurückzuziehen, wäre Essig denn aber doch zu wenig gewesen. Zwei-, dreimal im Monat steigt er in seinen C-Klasse-Daimler, legt seinen Aktenkoffer auf den Beifahrersitz und fährt in den Schwarzwald. Dort berät er ein Unternehmen, das Fräsmaschinen herstellt, bei der Umstrukturierung der Produktion. Vermittelt von einer Organisation, die leitende Angestellte im Ruhestand mit mittelständischen Firmen zusammenbringt, die Probleme haben. „Ich mach’ das aus Spaß an der Sache.“ WOS
Die künftige Ingenieurin
Ein roter Kasten mit vier Rädern, jede Menge Schalter, obendrauf eine Kamera. Diesem Roboter soll die 17-jährige Daria Reinbold das Einparken beibringen.„Turn“, „wait“, „move camera“: Mit solchen Befehlen füttert sie das Programmiersystem Java. Zunächst simuliert Daria das Einparken am Computer. Ein Kreis zuckelt über den Bildschirm, plötzlich verwandelt er sich zu einem Kreuz. „In Wirklichkeit hätte es jetzt einen Unfall gegeben“, erklärt Daria.
Während ihre Schulfreundinnen an ihrem Gymnasium im bayerischen Eichstätt die Sonne genießen konnten, verbrachte die Elftklässlerin Daria ihre Pfingstferien in einem Labor der Fachhochschule Ingolstadt. Und beim Autohersteller Audi. Daria war eine von zehn Teilnehmerinnen am „Forscherinnen-Camp“. So heißt eine Initiative, mit der das Bildungswerk der bayerischen Wirtschaft mehr junge Mädchen für Technikberufe begeistern will. Denn der Fachkräftemangel in Deutschland ist vor allen Dingen auch eines: ein Fachfrauenmangel.
Ob das bei Daria funktioniert hat, lässt sich schwer sagen. Das Tüfteln am Einpark-Roboter hat ihr zwar richtig Spaß gemacht. „Der hat immer gequietscht, wenn er die Befehle registriert hat“, erinnert sie sich. Ein bisschen wie bei E.T., dem Außerirdischen, sei das gewesen. Doch studiert sie deswegen gleich Ingenieurwesen, wenn sie in zwei Jahren ihr Abitur in der Tasche hat? „Ich weiß noch nicht genau, was ich mache“, sagt sie. Denn Wirtschaft und Politik interessierten sie auch.
Vielleicht könne sie ja mal Personalmanagerin in einem großen Unternehmen werden. Oder im Europaparlament arbeiten. Oder Forscherin werden. „Auf jeden Fall will ich Karriere machen“, sagt sie. WOS
Der begehrte Student
Dominik Lindemann, 26, muss noch zwei Semester an der RWTH Aachen studieren, bis er sein Diplom in Elektrotechnik in der Tasche hat. Doch ein fester Job ist ihm jetzt schon sicher. „Ich habe klare Angebote“, sagt er.
Für Lindemann ist der Fachkräftemangel in Deutschland ein Segen. Schon heute arbeitet er als Hiwi für das Fraunhofer Institut und tüftelt an der Entwicklung eines Prototyps, mit dem sich Keilriemen schneiden lassen. Gleichzeitig hat Lindemann einen Werkstudenten-Job bei SEW-Eurodrive in Karlsruhe, ein Unternehmen, das Motoren und Getriebe herstellt. Er war dort zwei Monate als Praktikant angestellt – seitdem programmiert er von seiner Zweizimmerwohnung aus Module für eine Roboter-Steuerungssoftware. Alles, was er dafür braucht, ist ein Laptop und ein etwa tellergroßes Gerät, das mit dem Internet verbunden ist.
Alle drei Monate fährt Lindemann ins 350 Kilometer entfernte Karlsruhe, um sich mit seinem Projektteam zu treffen. Und um zu schauen, ob die Software in der Praxis funktioniert. „Die wollten mich halten und haben nach einer Lösung gesucht“, erzählt Lindemann.
Doch auch beim Fraunhofer-Institut könne er bleiben, wenn er wolle. Dazu kommen einige Mittelständler, bei denen er sich bewerben will. „Ich halte mir alle Möglichkeiten offen.“
Von seinem zukünftigen Einkommen hat Lindemann schon konkrete Vorstellungen – die deutlich über dem liegen, was die Scharen an Studenten anpeilen, die Germanistik, Soziologie oder Irgendwas-mit-Medien studieren. „Ein Ingenieur aus Aachen fängt normalerweise mit einem Jahresbrutto von rund 45.000 Euro an“, sagt Lindemann. „Ich sehe mich da eher drüber.“ WOS
Der Profi-Vermittler
Pablo Galán redet schnell. Präzise. Kurze Hauptsätze, in denen englische Wörter wie Matching, Recruitment und Engineering vorkommen. Personalvermittlung ist ein schnelles Geschäft: „Der Kandidat ist drei, maximal vier Wochen auf dem Markt. Schon im ersten Gespräch müssen wir ihm idealerweise erste Ideen präsentieren“, erzählt der 29-jährige Betriebswirtschaftler. Ständig droht die Gefahr, dass die begehrten Ingenieure woanders unterschreiben.
Galán arbeitet im Frankfurter Büro von Michael Page International, einer der großen Firmen in der Personalberatungsbranche. 149 Büros in 25 Ländern vermitteln Fachkräfte und Führungspersonal. Der Vermittlungsprofi ist auf Ingenieure spezialisiert, besonders Automobilhersteller, deren Zulieferer und Firmen aus der Kunststoff- oder Chemieindustrie suchen verzweifelt, sagt er. Die Initiative geht von den Ingenieuren aus: Sie melden sich aus ihrer Festanstellung heraus bei Michael Page. „Im Moment haben die Kandidaten das Glück, zwischen zwei, drei Angeboten wählen zu können“, sagt Galán. „Meist beginnen sie die Suche recht nüchtern. Aber nach der ersten Bewerbungsrunde erkennen sie, wie begehrt sie sind.“ Dann steigen Erwartungen und Gehaltsvorstellungen. Ein Ingenieur hat es derzeit nicht nötig, für einen Job umzuziehen.
Damit Galán für jedes Unternehmen den passenden Bewerber findet, pflegt Michael Page eine Datenbank – sie katalogisiert Bewerber und Firmen nach Suchkriterien. Zahlen müssen diesen Service die Unternehmen. Die Vermittlungsgebühr? „Ist marktgerecht“, sagt Galán. Bis zu 30 Prozent des Jahresbruttogehalts des Bewerbers werden für eine geglückte Vermittlung fällig, also zehntausende Euro – die Firmen zahlen gerne. US
Der Firmenchef
Es ist fast etwas unwirklich: In den vergangenen drei Jahren raste die Umsatzkurve der Centa-Antriebe Kirschey GmbH förmlich nach oben. 30 Prozent mehr, jedes Jahr aufs Neue, 2007 waren es 65 Millionen Euro. Und Bernd Kirschey, der Geschäftsführer des Unternehmens im nordrhein-westfälischen Haan, sagt: „Wir können das Wachstum, das für uns im Markt liegt, gar nicht umsetzen – weil wir nicht genug Fachkräfte finden.“ Drei Ingenieure sucht er zurzeit – für den Vertrieb und die technische Berechnung.
Die Centa-Antriebe GmbH ist ein weltweit agierender Mittelstandsbetrieb. Zehn Standorte, Fertigungen in China und den USA, 280 Mitarbeiter. Allein im vergangenen Jahr hat das Unternehmen bereits 50 neue Fachkräfte eingestellt. Die Centa-Antriebe GmbH produziert Spezialkupplungen, die die Kraft vom Motor aufs Getriebe oder auf eine Hydraulikpumpe übertragen. Sie werden in Baumaschinen wie Baggern eingebaut, in Schiffe, aber auch in Windkraftanlagen. Eine Arbeit, die hohe Qualifikationen erfordert. „Die Resonanz auf Anzeigen geht deutlich zurück“, sagt Geschäftsführer Kirschey. Er inseriert in Fachmedien, Zeitungen und zunehmend in Internet-Plattformen – weil junge Ingenieure hier eher suchen.
Kirschey stellt jedes Jahr zehn Azubis ein, sein Unternehmen versucht, junge Menschen für technische Berufe zu begeistern. An einem Tag der offenen Tür dürfen Schulklassen durch die Hallen laufen. „An den Schulen müssten technische oder BWL-nahe Fächer in den Lehrplan aufgenommen werden“, sagt er. „Heute lernen die Kinder nur das eher abstrakte Fach Physik, und wenn sie Pech haben, fällt das auch noch phasenweise aus – so weckt man kein Interesse.“ US