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Archiv-Artikel

Wenn Arbeiterkinder studieren

Ein neues Internetportal soll Nichtakademiker-Kinder an den Unis vernetzen. Sie leiden an mangelnder Unterstützung ihrer Eltern ebenso wie am Fehlen von Vorbildern. Und an der Uni bleiben sie häufig unter sich

Guido Gryczan, Sohn eines Bergmanns und einer Hausfrau aus dem Ruhrgebiet, fühlte sich sofort angesprochen, als er im Deutschlandfunk von der Initiative „ArbeiterKind.de“ hörte. Der Wissenschaftler am Department Informatik der Universität Hamburg meldete sich als Mentor für Abiturienten und Studienanfänger aus Nichtakademikerfamilien. Und er gab Initiatorin Katja Urbatsch und ihren Mitstreiterinnen und Mitstreitern mit dem System CommSy (Community System) die Technik an die Hand, sich selbst zu organisieren. Die virtuelle Kommunikationsplattform CommSy „unterstützt Gemeinschaften von AnwenderInnen, die sich mit den Mitteln der IT von unterschiedlichen Standorten aus abstimmen möchten – ohne, dass sie dabei ein besonderes Technikwissen mitbringen müssen“, erklärt Gryczan. Jetzt heiße es nicht mehr wie zu Beginn des Projekts noch so oft: „Wo ist diese E-Mail mit dem Anhang …?“, sagt er und lacht.

Das erst Ende Mai an den Start gegangene Internetportal „ArbeiterKind.de“ erfreut sich schon jetzt großer Aufmerksamkeit: Ende Juni waren bereits 250 Mitglieder angemeldet, die sich in mehr als 50 lokalen Gruppen zusammengefunden haben. Täglich werden es mehr. Die vielen positiven Reaktionen bestärken Urbatsch in ihrem Tun. Die 29-jährige weiß, was es heißt, als erste in der Familie zu studieren und damit Neuland zu betreten: „Es ist immer die gleiche Geschichte.“ Leute berichteten ihr von den Widerständen, auf die sie in der Familie stießen, als sie sich für ein Studium entschieden. Besonders beeindruckt hat Urbatsch der Bericht einer jungen Frau, deren Bildungsweg mit dem Hauptschulabschluss hätte enden können. Sie arbeitete sich bis zum Abitur hoch, studierte – und unterrichtete mit nur 24 Jahren schließlich als Lehrerin.

Die Leute wüssten genau, worum es geht, wenn sie „Arbeiterkind“ läsen, sagt Urbatsch. Die fehlende Unterstützung durch die Eltern ist da nur ein Punkt unter vielen. Der Spruch „Ihr sollt es mal besser haben als wir“ sei oft nur als Aufforderung gemeint, einen Beruf zu wählen, mit dem man finanziell besser dastehe als die eigenen Eltern. Die Tatsache, dass Akademiker später weitaus höhere Gehälter haben, ist vielen Nichtakademikern schlichtweg nicht bekannt. Neben Unwissenheit über die Bedeutung eines Studiums spiele sicher auch die Angst, dass sich die Kinder durch den Besuch einer Universität zu weit von einem entfernen könnten, eine große Rolle. Eltern gäben ihren Kindern häufig ein bestimmtes Berufsbild als anzustrebendes Ziel vor, sagt Urbatsch.

Wer mit „ArbeiterKind“ überhaupt angesprochen werden soll? „Wir fassen darunter alle Nichtakademikerkinder.“ Gemeint seien diejenigen, die in einer Familie in der ersten Generation studieren. Häufig blieben Studierende auch in ihrer Peergroup unter sich: Es gebe an den Unis zwei Gruppen, die der Akademikerkinder und die der Nichtakademikerkinder. Für sie selbst war die Unterstützung ihres älteren Bruders immer wichtig. Beide Geschwister waren von Anfang an davon überzeugt, dass es richtig ist, zu studieren.KATRIN KESSLER

www.arbeiterkind.de