: Sieg nach Plan B
Box-Weltmeister Wladimir Klitschko schickte seinen Herausforderer Tony Thompson in der Hamburger Color Line Arena auf den Ringboden. Der K.o.-Schlag kam spät und völlig überraschend in der elften Runde
„The hero comes home“ – voller Pathos rührten die US-Vermarktungfirma K2 und RTL die Werbetrommel für die Rückkehr Wladimir Klitschkos nach achtjähriger Hamburg-Abstinenz. Mit drei WM-Gürteln kehrte der jüngere der Klitschko-Brüder in die Stadt zurück, in der er 1996 vor 600 Zuschauern sein Debut gegeben hatte. Und auch sein Gegner Tony „Tiger“ Thompson hatte vor dem Kampf nur gute Erinnerungen an die Hansestadt, wo er vor fast genau einem Jahr gegen Luan Krasniqi „den Kampf seines Lebens“ ablieferte.
Mit dem Gongschlag waren die Psycho-Spielchen der letzten Tage vorbei. Nichts zu sehen von „hängenden Armen“, die Klitschko-Entdecker Fritz Sdunek beim Herausforderer erwartete hatte, nichts zu erkennen von dem passiven Kampfstil, den man Klitschko nach seinem Sieg gegen Sultan Ibragimov vorgehalten hatte.
„Bitte nicht nur zwei Runden“, flehte ein Zuschauer, als der Champion in der zweiten Runde mehrfach mit seiner Rechten durchkam und sich das erwartete Kräfteverhältnis einzustellen schien. Aber der Ukrainer bekam Probleme mit der rechten Führhand des in ungewohnter Rechtsauslage boxenden Thompson. Und wenn er dann doch einmal durchkam, ging Thompson urplötzlich in die Doppeldeckung und zwang Klitschko erneut zu einer Änderung des Kampfstils.
„Eine unglaubliche Defensive“, schwärmte der Sieger nach dem Kampf. „Ich habe mehrere Runden gebraucht, um mich darauf einzustellen.“ In der zweiten Hälfte fand seine Rechte zwar öfter ins Ziel. Aber Thompson beschränkte sich keineswegs auf die Deckung, sondern riskierte immer wieder überfallartige Ausbrüche, die mit schweren Treffern belohnt wurden.
Trotz Überlegenheit Klitschkos blieb der Fight in jeder Sekunde so spannend, dass der nicht mehr erwartete K.o.-Schlag nach 98 Sekunden der elften Runde für die Klitschko-Fans wie eine Erlösung wirkte. Die ansatzlose Rechte von Dr. Steelhammer war selbst für die 12.000 Zuschauer schwer zu erkennen – viele dachten erst an einen erneuten Ausrutscher des US-Amerikaners, der zuvor mehrfach den Halt verlorenen hatte. Gleich nachdem Thomson sich wieder aufgerappelt und gefangen hatte, ging der Titelverteidiger zu ihm in die Ecke, umarmte ihn und bekam die Worte zu hören, die jeder Boxer hören will: „Du bist der Größte.“
Diesen Superlativ wiederholte der Unterlegene die ganze Nacht über, kassierte seinerseits aber auch überschwängliches Lob für seinen beherzten Kampfstil. „So, und jetzt gehe ich trainieren und werde noch besser werden. Ich möchte auf jeden Fall ein Rematch“, sagte er.
Aber zu einem Rematch wird es so bald nicht kommen. „Es warten eine ganze Reihe Boxer, die gegen mich antreten wollen“, sagte Klitschko. Der wahrscheinliche Gegner ist der russische Olympiasieger Alexander Povetkin, der im Vorfeld des Kampfes mit einem Doppeldeckerbus voller Models in Militäruniformen für eine peinliche PR-Aktion gesorgt hatte.
„Es war viel härter, als ich erwartet hatte“, sagte der glücklicher Gewinner und konnte selbst seinem geschwollenen linken Auge etwas Gutes abgewinnen. „Jetzt sehe ich endlich aus wie ein Boxer.“ Auf die Frage, warum er seine Rechte viel öfter als in den letzten Kämpfen eingesetzt habe, sagte er: „Mein Jab kam ja nicht durch. Da musste ich zu Plan B greifen.“ Das Hamburger Publikum bat er schon mal um Verständnis dafür, dass eine baldige Rückkehr nicht zu erwarten ist: „Ein Weltmeister muss auf der ganzen Welt präsent sein.“ RALF LORENZEN