: Dramatische Wahlniederlage für Labour
Die Labour Party des britischen Premierministers Gordon Brown verliert eine Nachwahl auch in einem Bezirk Glasgows, der noch nie eine andere Partei gewählt hat. In der Partei geht die Angst um, doch Brown will von Rücktritt nichts wissen
VON RALF SOTSCHECK
Das Erdbeben, das der schottische Premierminister Alex Salmond angekündigt hatte, ist eingetroffen. Seine separatistische Scottish National Party (SNP) gewann am Donnerstag die Nachwahl für den Unterhaussitz in der Labour-Hochburg Glasgow East. Der 51-jährige John Mason hatte am Ende 365 Stimmen Vorsprung vor seiner Labour-Konkurrentin Margaret Curran. Auch eine von Labour rasch verlangte Neuauszählung half nichts.
Die Wahlbeteiligung lag bei gut 42 Prozent, was für eine Nachwahl recht hoch ist. Mason erreichte 43,08 Prozent, seine Labour-Konkurrentin Margaret Curran kam auf 42,69 Prozent. Der Rest verteilte sich auf sieben Kandidaten. Einen solchen Wählerumschwung hatte es in der britischen Geschichte bisher selten gegeben. Bei den Wahlen vor drei Jahren hatte der Labour-Kandidat David Marshall, dessen Rücktritt aus gesundheitlichen Grünen jetzt die Nachwahl ausgelöst hatte, den Sitz mit mehr als 60 Prozent der Stimmen gewonnen, die SNP kam lediglich auf 17 Prozent. In nur zwei anderen schottischen Wahlkreisen schnitt Labour damals noch besser ab. Deshalb galt Labour bei den Buchmachern bis zum Schluss als Favorit.
Das Wahlergebnis sei auf der Richterskala gar nicht mehr zu messen, sagte Mason: „Das wird riesige Auswirkungen haben. Es war eine gewaltige Herausforderung. Das Ergebnis ist eine Botschaft für das ganze Land.“ Die unterlegene Curran sagte: „Ich bedauere natürlich, dass ich die Wahl verloren habe, aber ich bedauere nicht, kandidiert zu haben. Labour ist für mich keine Karriereleiter, sondern eine gute Sache, und für diese Sache werde ich mich weiterhin einsetzen.“
Für den britischen Premierminister Gordon Brown, der aus Schottland stammt, stellt sich hingegen die Karrierefrage. Innerhalb von zwei Monaten musste er drei Wahlschlappen hinnehmen. Erst verlor seine Partei in Crewe gegen die Tories, dann fiel sie bei der Nachwahl in Henley sogar auf den fünften Platz zurück, noch hinter die Grünen und die Nazis von der British National Party (BNP). Und jetzt kommt Glasgow hinzu, was für viele, selbst in der SNP, bis Donnerstag unvorstellbar war.
Bei den Labour-Hinterbänklern geht die Angst um: Wenn Brown weder eine Wahl im reichen Südengland noch in einem Mittelschicht-Wahlkreis in Nordengland gewinnen kann und auch noch in einem Arbeiterbezirk verliert, der noch nie eine andere Partei als Labour gewählt hatte, wo soll er dann noch gewinnen?
Überträgt man das Ergebnis auf Parlamentswahlen, die spätestens im Juni 2010 stattfinden müssen, so verlöre Labour 150 der 350 Sitze. Selbst Browns eigenes Mandat im schottischen Wahlkreis Kirkcaldy ist in Gefahr. Seine Popularität hat einen historischen Tiefstand erreicht. Brown steht ein ungemütlicher Parteitag Ende September bevor, falls er dann noch im Amt ist.
Tory-Chef David Cameron sagte gestern: „Ich finde, der Premierminister sollte jetzt Urlaub machen, aber danach brauchen wir Wahlen. Wir benötigen dringend Veränderungen in diesem Land. Weitere 18 Monate ertragen wir das nicht.“ Viele Labour-Hinterbänkler finden das insgeheim auch. Während Brown gestern mit seinem Kabinett und den Gewerkschaftsführern über einen Richtungswechsel in verschiedenen Bereichen beriet, sagte ein Minister: „Wir können diese Niederlage nicht damit abtun, dass Regierungen so etwas eben in ihrer dritten Amtszeit passiert. Wir stecken tief im Schlamassel.“
Der Labour-Abgeordnete Graham Stringer aus Manchester war der Erste, der es offen aussprach: „Wir brauchen einen Neuanfang, und der kann nur durch eine Debatte über die Parteiführung herbeigeführt werden. Ich hoffe, dass diese Diskussionen stattfinden werden.“ Verteidigungsminister Des Browne sprach den Premier dagegen von jeglicher Mitschuld frei: „Curran zahlte den Preis für die widrigen ökonomischen Umstände. Die Wähler haben sich immer wieder über steigenden Benzin- und Lebensmittelpreise beschwert.“
Der Premier wollte von Rücktritt nichts wissen: „Ich konzentriere mich darauf, die Nation durch diese schwierigen Zeiten zu führen. Das erwarten die Menschen von mir“, sagte Gordon Brown.
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