„Eine gewisse Dorfidylle“

Heute Abend feiert der Film „Sankt Pauli – Rausgehen. Warmmachen. Weghauen“ Premiere. Die taz sprach mit Protagonist und Streetworker Roger Hasenbein über das Viertel, den Verein und Film

INTERVIEW JULIAN KÖNIG

taz: Herr Hasenbein, wie kommt es, dass so viele Hamburger den Verein FC St. Pauli lieben, sich aber nach Anbruch der Dunkelheit nicht mehr in das Viertel trauen?

Roger Hasenbein: Das kann ich gar nicht nachvollziehen. Es handelt sich da wohl eher um Auswärtige, die das Viertel gar nicht kennen.

Wird durch die Medien ein falsches Bild transportiert?

Das Thema Kriminalität wird oft undifferenziert dargestellt. Ich weiß von meiner Arbeit als Streetworker, dass die Kriminalitätszahlen bei den Jugendlichen im Viertel rückläufig sind, insgesamt die Delikte im Viertel, trotz Videoüberwachung, aber angestiegen sind. Das sind dann aber nicht die Ortsansässigen.

Wie erleben die Bewohner ihr Viertel?

Sehr unterschiedlich: In Kieznähe sind sie gestresst von den vielen Touristenströmen. Die Besucher werden oft als Stadtteilfeindlich empfunden.

Schuld sind sicher nicht nur die Touristen. Es riecht nach Urin, überall liegt Müll und Scherben.

Sie zeichnen das Bild der Reeperbahn an Abenden oder Wochenende. Einige hundert Meter weiter ist es ein ganz anderes Bild. Da sind gewachsene Strukturen, ein gemischtes Wohnpublikum, viel Altbau. Es herrscht eine gewisse Dorfidylle.

Bei Ihrer Arbeit haben Sie mit den Problemen im Viertel zu kämpfen. Kann man den Menschen noch gerecht werden?

Nein, definitiv nicht. Unser Arbeitgeber ist der Bezirk Altona und nachdem Mitte die Sozialarbeit platt gemacht hat, haben wir einige Kapazitäten auf St. Pauli übernommen. Diese wird aber durch die Anzahl der Hilfsbedürftigen weit überstiegen.

Der soziale Kahlschlag der Hamburger Regierung in den letzten Jahren hat die Situation sicherlich nicht verbessert.

Es gab in den letzten zwei, drei Jahren eine stärkere Verelendung. Die Menschen leben teilweise stark unter der Armutsgrenze, müssen sich verschulden oder werden obdachlos. Vor allem immer mehr Jugendliche.

Denkt man da manchmal ans Aufhören?

Naja, es gibt natürlich Momente an den man frustriert ist und an seine Grenzen stößt. Aber St. Pauli ist mein Stadtteil, die Arbeit macht Spaß. Ich bin 1996 aus Heidelberg nach Hamburg gekommen. Hauptsächlich wegen des Vereins und der Stadt.

Der Verein hat eine große Bedeutung für das Viertel.

Er ist fest mit dem Stadtteil verwurzelt. Es gibt eine symbiotische Beziehung, die Menschen identifizieren sich mit dem Verein und dieser braucht die Menschen. Vielen bietet er Ablenkung von ihren täglichen Problemen und Sorgen.

Gibt es so etwas wie eine soziale Verantwortung?

Klar. Der Verein ist den Bewohnern verpflichtet, bietet kostenlose sportliche Angebote an. Die Kinder werden zum Beispiel beim „Kiez Kick“ professionell betreut und können sich bei Problemen auch anvertrauen. Außerdem wollen wir, dass sich jeder ein Spiel bei St. Pauli leisten kann.

Wie sind dann die hohen Sitzplatzpreise zu rechtfertigen?

Die Kommerzialisierung geht auch an St. Pauli nicht vorbei. Aber wenn die teuren Karten die günstigen Steh- und Sitzplatzkarten finanzieren, dann finde ich das okay. Wir überlegen gerade einen beaufsichtigten Kinderblock ins Leben zu rufen, ohne Eltern.

Ein absolutes Novum im Profi-Fußball.

So etwas gab es vor Jahren in England bereits. Im Zuge der Abschaffung der Stehplätze, gingen diese leider auch verloren.

Der Film versucht den Verein und das Leben im Viertel zu verknüpfen. Sie kennen beide Seiten, ist das Vorhaben gelungen?

Meiner Meinung nach ja. Die Verknüpfung ist der stärkste Teil des Films.

Fotohinweis:ROGER HASENBEIN, 50, Vorsitzender des Sprecherrates der organisierten Fanclubs, seit fast 20 Jahren dem FC St. Pauli verbunden