„Auf einmal sind wir in der Mehrheit“

Der Christopher Street Day ist die größte politische Parade, die es hierzulande überhaupt noch gibt, sagt der Hamburger Landeschef der Arbeitsgemeinschaft Lesben und Schwule in der SPD, Arne Platzbecker

ARNE PLATZBECKER, 36, ist Rechtsanwalt und Vorsitzender der Landesarbeitsgemeinschaft Schwusos Hamburg.

taz: Herr Platzbecker, die Schwusos werden am Samstag beim Hamburger CSD wieder mit einem großen Wagen präsent sein. Haben Sie Ole von Beust als prominenten schwulen Bürgermeister schon mal eingeladen, aufzuspringen?

Arne Platzbecker: Nein. Er nimmt nie an der Parade teil. Unser ständiger Begleiter seit Jahren ist ein Schild auf unserem Wagen: „Wo ist Ole?“ – und dahinter die Sylt-Flagge.

Welche Forderungen tragen Sie dieses Mal auf die Straße?

Ein neuer Punkt ist das volle Adoptionsrecht: Als Pflegeeltern dürfen Schwule Problemkinder aufziehen. Die Adoption genehmigt man ihnen aber nicht. Das ist doch unlogisch: Entweder man sagt, schwule Eltern sind generell nicht der Lage Kinder aufzuziehen. Dann wäre das konsequent. Aber zu sagen: Um die Problemfälle könnt ihr euch kümmern, aber wenn es um Adoption geht, dann nicht – das ist totaler Unsinn.

Das Thema Aids-Prävention war jahrelang eine wichtiges Thema – inzwischen nicht mehr?

Der Eindruck ist richtig, das muss man leider sagen. Obwohl die Zahlen belegen, dass die Ansteckungsrate steigt. Das liegt aber daran, dass die Generation der 30- bis 40-Jährigen – so wie ich – kaum noch Freunde und Bekannte hat sterben sehen. Weil bessere Medikamente heute eine lange Lebensdauer mit sich bringen. Die Dringlichkeit ist heute nicht mehr so sichtbar. Leider.

Dabei nehmen die Ansteckungen wieder zu …

… und der Senat kürzt bei der Prävention. Das soll jetzt mit dem Koalitionsvertrag zurückgenommen werden, ich habe aber noch nicht gesehen, dass das auch umgesetzt wird. Die Aufklärungsarbeit an Schulen ist quasi eingestellt worden. Wir fordern dagegen den Erhalt und Ausbau von Präventionsprojekten.

Ist eine Party-Parade wie die heute Mittag überhaupt das richtige Vehikel für solche Themen?

In Hamburg haben wir mit der Pride Week einen sehr politischen CSD. Was ich aber viel wichtiger finde ist, dass nur durch Sichtbarmachen Toleranz entsteht. Für Leute, die in Billstedt oder Horn oder Mümmelmannsberg wohnen, ist es das einzige Mal im Jahr, dass sie öffentlich Hand in Hand gehen können. Ich lebe mit meinem Mann auf St. Pauli und auch wir gehen nicht Hand in Hand durch den Stadtteil, weil wir mehrfach negative Erfahrungen gemacht haben – oft mit Menschen mit Migrationshintergrund. Da übt man eine Selbstzensur aus.

Beim CSD ist alles anders?

Ja. Da sind wir auf einmal in der Mehrheit und das stärkt das Selbstvertrauen der Community, es hilft der Außendarstellung.

Wie viele Teilnehmer erwarten Sie heute?

Der CSD ist die größte politische Parade, die es in Deutschland überhaupt noch gibt: Bei den Maikundgebungen kommen 2.000, gegen Atomkraftwerke vielleicht 5.000. Beim CSD laufen 50.000 Leute mit, weitere 250.000 stehen am Rand. Das müssen die Gewerkschaften erstmal auf die Beine stellen.

Sprechen wir noch mal über den Bürgermeister: Gerade hat er zum ersten Mal die CSD-Gala eröffnet …

Ja, er macht Fortschritte in dem Bereich. Das ist unglaublich wichtig. Denn nur durch solche positiven Beispiele passiert eben auch in der CDU ein Umdenken. Interview: GWENDOLYN PAUL

Start der Parade: Samstag, 12 Uhr, Lange Reihe/ Ecke Schmilinskystraße