kabinenpredigt : Geistige Tiefschläge
So kurz vor Beginn der Olympischen Spiele in Peking hat mittlerweile fast jeder begriffen: Sport hat sehr viel mit Politik zu tun. Die Berliner FDP meint nun wiederum erkannt zu haben, dass Kampfsport sehr viel mit Sozialpolitik zu tun hat.
Aggressionsabbau durch Kampfsportschulen, so heißt jedenfalls die Lösung, die sich die Liberalen ersonnen hatten, als sie darüber nachdachten, wie man gewalttätige Kinder von der Straße holen könnte. In einem Antrag für das Berliner Abgeordnetenhaus verlangt die FDP, künftig Kampfsportschulen zu zertifizieren. So wüssten die Eltern, dass ihre Kinder unter Anleitung von pädagogisch geprüften Trainern überschüssige Energien abbauen. Unter dieser Voraussetzung nämlich, da ist sich die FDP sicher, können Kampfschulen sozialpolitische Wunder vollbringen.
Die Sozialsenatorin Heide Knake-Werner (Linke) hat sich vergangene Woche erstaunlich lapidar zum FDP-Vorstoß geäußert: „Ich habe nichts gegen solche Zertifikate.“ Interessanter wäre die Fragestellung gewesen, was denn eigentlich dafür spricht. Gut, wie immer besticht die FDP auf dem Gebiet der Sozialpolitik mit preiswerten Ideen. Aber weshalb die Konzentration auf den Kampfsport? Die Berliner FDP schreibt, das Kräftemessen der Jugendlichen solle auf der sportlichen Ebene ausgetragen werden. Schlagen nach Regeln also. Das hört sich nach einem recht eindimensionalen Menschenbild an. Oder vielmehr: nach Bändigung von wilden Tieren.
Kampfsport mag durchaus zum Aggressionsabbau beitragen, aber das gilt genauso für andere Sportarten, deren Ausübung körperliche Erschöpfungszustände zur Folge hat. Die Berliner Liberalen verweisen in ihrem Antrag auf erfolgreiche Projekte von Boxkampfschulen in Deutschland. Das wohl bekannteste ist das vielfach gelobte hessische Boxtrainingscamp von Lothar Kannenberg, einem Spezi des dortigen Ministerpräsidenten Roland Koch. Kritiker beklagen jedoch, dieses Camp gleiche einem Militärlager, in dem die Jugendlichen lediglich lernen willenlos zu gehorchen.
Auch mit pädagogischen Wochenendseminaren wird die FDP Kampfsporttrainer nicht zu Gesellschaftstherapeuten aufpäppeln können. Sozialpolitik beinhaltet mehr als die Lehre davon, wie man sich am besten durchs Leben boxt.
JOHANNES KOPP