piwik no script img

Archiv-Artikel

2016, 2020, 2024, 2028

Die nächsten Spiele kommen bestimmt. Ein Film zeigt, wie und warum in Chinas Sportschulen Kinder gedrillt werden

Wohl dem Kind, das aus Neigung, nicht nur aus Talent Spitzensportler wird. Wehe dem Kind, das auf dem Wege ist, Chinas Medaillenhoffnung zu werden. Im ganzen Land schraubt eine Armada von Trainerinnen und Trainern am sportlichen Ruhm der Volksrepublik, sie bilden den Nachwuchs für die künftigen Olympischen Spiele aus.

Der Regisseur Chao Gan hat für das deutsche Fernsehen die Sportschule Shanghai besucht. Dort werden Kinder zu Boden- und Gerätturnern gedrillt. In großen, pieksauberen Hallen wirbeln sie über die Matten, zirkeln um die Reckstange oder zählen weinend im Handstand bis hundert. Zweifellos fließen überall auf der Welt Tränen, wo Menschen ihre Schmerz- und Kraftgrenzen neu definieren. Was aber diese Übungsleiter mit den Kindern anstellen, ist eine Schande. Während sie sie mit plumpen Psychotricks dazu bringen, nicht schreiend aus der Halle zu rennen, erfahren die Kleinen für ihre Leistungen nichts als Verachtung. Kein Wort der Anerkennung fällt auf die fünfjährige Deng, die sich sichtlich Mühe gibt, ihre Megäre von Trainerin wenn schon nicht zufriedenzustellen, dann wenigstens nicht noch mehr zu reizen. Keine Hand findet sich, die dem schluchzenden Kind wenigstens mal übers Haar fährt. Im Gegenteil, dieser in einem Frauenkörper wiedergeborene Bela Karolyi, der 1976 die Turnerin Nadja Comaneci zu olympischem Gold peitschte, herrscht Deng an, sie möge ihre Heulerei auf die Zeit nach den Training verschieben.

Warum die Eltern ihre Kinder nicht den Klauen dieser Kindheitsvernichter entreißen, auch das erzählt dieser großartige Film. Deng, Wang, Ah-Nan, Zhiwen und Zhiu kommen aus der chinesischen Unterschicht. Wenn sie versagen, stirbt der Traum ihrer Familie vom Wohlstand. Spitzensportler genießen in China Privilegien. Für Ah-Nans Familie, Wanderarbeiter, ist der kleine Turner die Hoffnung auf Teilhabe, dafür schleppen sie den Sechsjährigen, der mit niemandem mehr spricht, Tag für Tag in die Turnfabrik.

„Tränen und Träume“ macht es sich nicht einfach. Der Regisseur fragt auch nach, was in den Trainerinnen und Trainern vorgeht, woher diese unglaubliche Gefühlskälte rührt. Im Gespräch wird deutlich, dass sie wissen, wie hochtalentiert die Kleinen sind, wie überdurchschnittlich ihre Leistungen. „Er ist ein Naturtalent“, sagt der Trainer über Ah-Nan. Wer den Übungsleitern zuhört, versteht aber auch, warum diese „Pädagogen“ gar nicht in der Lage sind, den Kindern Anerkennung zu zollen. „Zu meiner Zeit“, sagt Dengs Trainerin, „waren die Methoden viel härter als heute.“ Man mag sich kaum ausmalen, was diese Frau als Kind erleiden musste. ANJA MAIER

„Tränen und Träume – Chinas Kinderturnfabrik“, Das Erste, 23.30 Uhr