: Der rasierte Rockstar
Der Basketballer und Olympianovize Dirk Nowitzki darf bei der Eröffnungsfeier die deutsche Fahne tragen. Ein Tabubruch. Denn bislang war diese Ehre nur altgedienten Olympioniken vorbehalten
AUS PEKING MARKUS VÖLKER
Nein, kein Schütze, Kanute oder Ruderer, kein Segler und kein Reiter, der 2,12 Meter große Basketballer Dirk Nowitzki trägt die Fahne bei der Eröffnungfeier am Freitag im Pekinger Olympiastadion. Er ist zum ersten Mal bei den Spielen, Nowitzki ist ein Novize unter den fünf Ringen. Sein Team hat sich erst vor zwei Wochen bei einem Ausscheidungsturnier in Athen für die Spiele qualifiziert, auf den allerletzten Drücker. Trotzdem wurde Nowitzki erwählt vom Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB). Neben Michael Ballack und dem pausierenden Michael Schumacher ist er der einzige Sportstar Deutschlands. Das war ein Kriterium.
Der Sportbund erhofft sich von Nowitzkis Nominierung, „dass ein Funke überspringt“. Michael Vesper, Generaldirektor des Bundes, glaubt gar, der Profi der Dallas Mavericks habe „eine ganz intensive Wirkung auf junge Leute“. Außerdem verkörpere er die olympische Idee „so authentisch“. Was damit gemeint sein könnte, war an Nowitzkis Haarschopf ersichtlich. Links über dem Ohr hatte er sich die olympischen Ringe ins blonde Kurzhaar fräsen lassen – vom Kollegen Chris Kaman. Zu diesem Behufe wurden kleine Kreise aus einem Pappteller herausgeschnitten, auf den Kopf platziert. Den Rest der Laienschur erledigte eine Maschine. „Das war vielleicht eine Schau“, sagte Nowitzki, „so richtig gut sieht es nicht aus.“ Aber das sei nicht schlimm, schließlich geht es um eine Demonstration seines Olympiafanatismus. Ausführlich schilderte er seine Erlebnisse im olympischen Dorf, wo es ihm vor allem die Kantine angetan hat. „Es ist toll, einfach in der Mensa zu sitzen und tausend Leuten beim Essen zuzuschauen.“ Auch habe er bereits mit einem Pakistani „Air Hockey“ gespielt. Nowitzki (30) läuft also mit großen Augen durch die weite Olympiawelt, glaubhaft versichernd, dass er am Ziel seiner sportlichen Träume angelangt ist.
Eigentlich ist es Tradition geworden, dass verdiente Athleten, dekoriert mit diversen olympischen Medaillen, die Fahne tragen. 1996 in Atlanta war es der Fechter Arnd Schmitt, vier Jahre später durfte die Kanutin Birgit Fischer ran, zuletzt schritt Ludger Beerbaum, Reiter, mit der Fahne voran ins Stadion. Ein Mannschaftssportler wurde erst einmal herausgepickt für diese repräsentative Aufgabe: 1980 in Moskau die Handballerin Kristina Richter, eine DDR-Sportlerin. Mit Nowitzkis Wahl handelt es sich also um einen bewussten Tabubruch, der möglicherweise ein wenig Unverständnis unter den altvorderen Athleten erzeugen dürfte: Da kommt dieser NBA-Millionär zum ersten Mal daher und wird prompt mit dem Amt betraut. Im Gespräch waren vorher der Schütze Ralf Schumann, die Fechterin Britta Heidemann und der Kanute Andreas Dittmer. Sie gingen alle leer aus. Deswegen geriet Nowitzki denn auch unter Rechtfertigungsdruck im Deutschen Haus, errichtet im Pekinger Kempinski-Hotel.
„Das ist schon ein kleiner Traditionsbruch, weil ich zum ersten Mal hier bin“, sagte er und warb um Verständnis: „Meine Botschaft an die andere Sportler wäre: Sich für mich zu freuen, denn es wurde ja von oben entschieden.“ Der DOSB habe sich nicht gegen jemand entschieden, sondern für jemand, sagte Vesper, „er kommt aus dem Big Business und ist trotzdem bescheiden geblieben.“ Die meisten Olympioniken, Turmspringer oder Wildwasserkanuten, können von den Einnahmen eines Dirk Nowitzki nur träumen. Nur einmal alle vier Jahre wittern sie ihre Chance. Heißt das, dass ein Nowitzki nicht Fahnenträger sein darf bei Spielen, die sich eh dem Kommerz und den Regeln der Medientauglichkeit gebeugt haben? Nowitzki ist keine schlechte Wahl, weil er nicht nach Proporz und olympischen Dienstjahren erkoren wurde. Natürlich steckt Kalkül dahinter, doch Nowitzkis fast schon naive Olympiabegeisterung übertüncht es.
Bleibt noch die Frage, was Nowitzki vom Boykott der Eröffnungsfeier hält, den beispielsweise die Fechterin Imke Duplitzer angekündigt hat. „Ich bin in sportlicher Funktion hier, nicht als Politiker“, sagte er. „Wenn Sportler die Eröffnungsfeier boykottieren, dann wird sich dadurch nichts ändern, dazu ist das Druckmittel zu klein.“ In der NBA hat er gelernt, zwischen Sport und Politik fein säuberlich zu trennen. Brisante politische Urteile wird man von Angestellten der US-Liga kaum hören. Ein wenig kennt Dirk Nowitzki allerdings die Situation in China. „Ich weiß, dass es ein absolut basketballverrücktes Land ist“, sagte er. „Hier werde ich wie ein Rock- oder Popstar behandelt.“ Welcher deutsche Olympionike kann das sonst noch von sich behaupten?