Dämonischer Imperativ

Im Verfahren um die getöteten Kinder von Darry kommt es zu den Plädoyers: Die Schuldunfähigkeit der Mutter steht seit Prozessbeginn außer Frage, auch über eine weitere geschlossene Unterbringung der 32-Jährigen sind die Parteien sich einig

VON ESTHER GEISSLINGER

Steffi K. tötete ihre fünf Söhne, aber sie ermordete sie nicht. „So widersinnig es uns erscheint“, sagte der Staatsanwalt in seinem Plädoyer am Donnerstag vor dem Kieler Landgericht – „sie handelte aus Liebe.“ Der 32-jährigen K. wird vorgeworfen, im Dezember 2007 ihre Kinder mit Tabletten betäubt und mit Plastiktüten erstickt zu haben.

Von vornherein galt eine psychische Störung als sehr wahrscheinlich – und damit die Schuldunfähigkeit: Die Frau hatte sich nach der Tat in einer Psychiatrie gemeldet und ist seither in einer geschlossenen Einrichtung untergebracht. Daher gehe es nur darum festzustellen, ob sie eine Gefahr für die Allgemeinheit sei und weiter untergebracht werden solle, sagte der Staatsanwalt. Dies hätten der Prozess und das psychiatrische Gutachten ergeben: „Sie ist seit langem krank, die Prognose ist nicht günstig.“

Die Anwältin von Nebenkläger Michael K., dem Vater der drei jüngeren Söhne, erinnerte daran: „Fünf Kinder sind tot – um sie geht es hier auch.“ Sie nannte eine Reihe von Zweifeln: etwa, ob Steffi K. sich wirklich habe töten wollen. Der Schnitt am Handgelenk sei eine „bloße Demonstrationsverletzung“. Am Ende stand aber auch für die Anwältin fest: „Die Zweifel haben sich nicht bestätigen lassen.“ Sie schloss sich dem Antrag des Staatsanwalts an, genau wie der Verteidiger von Steffi K.

Der Staatsanwalt hatte auch gesagt, dass die Frage einer eventuellen Mitschuld von Behörden in diesem Verfahren nur eine untergeordnete Rolle spiele. Dennoch ging es vor den Plädoyers durchaus um die Rolle des Psychiaters, der Steffi K. bereits 2006 behandelte. Hätte er erkennen können, dass die Frau Befehle von Wesen aus dem Jenseits zu erhalten glaubte? Michael K. hatte ausgesagt, er habe ein Tonband, auf dem seine Frau ihre Wahnvorstellungen schildert, dem Plöner Sozialpsychiatrischen Dienst gegeben und um Hilfe gebeten. Doch das Band sei an den Psychiater weitergereicht worden, der Steffi K. ambulant betreute. Der Therapeut gab es ihr wieder – sie habe es gelöscht und ihrem Mann Vorwürfe gemacht, sagte Michael K.

Der Arzt schildert den Vorfall anders. Er habe einen „grauen Gegenstand“ erhalten, „der für mich nicht einzuordnen war“ – ein Tonband habe er nicht erkennen können: „Es war unmöglich, es abzuspielen.“ So gab seine Sekretärin den ominösen Gegenstand an die Patientin weiter, „mit meinem Wissen“. Während dieser Aussage schüttelte Michael K. fassungslos den Kopf. Seine Anwältin konfrontierte den Psychiater mit Aussagen der Mitarbeiterinnen des Sozialpsychiatrischen Dienstes: Die hatten sehr wohl von einem „Tonband“ gesprochen. Auch bei der Frage, ob die Stimmen, die Steffi K. hörte, jemals „imperativ“, also befehlend gewesen seien, hakte die Anwältin nach: Das wäre möglicherweise eine Handhabe für eine Zwangseinweisung gewesen. „Mir gegenüber hat die Patientin das verneint“, sagte der Psychiater. „Dämonenstimmen, die bedrohlich sind – das ist mir nicht erinnerlich.“

Steffi K. war bereits im Sommer 2006 bei ihm in Behandlung. Ihr Zustand habe sich aber schnell gebessert, berichtete der Arzt. Im August 2007 war sie wieder da, diesmal war von Stimmen und Auffälligkeiten die Rede: „Für mich eine Handlungsindikation.“ Eine stationäre Einweisung jedoch „wünschte die Patientin nicht“, und da der Arzt selbst einen Urlaub vor sich hatte, im Jahr zuvor alles gut gegangen war und die Frau versprach, sich ambulant behandeln zu lassen, blieb es dabei.

Steffi K. steckte zu diesem Zeitpunkt bereits tief in ihrem Wahn. Dessen komplexes System erläuterte der Gutachter, Wolf-Rüdiger Jonas, Chef der Psychiatrie in Heiligenhafen. In K.s Vorstellung gab es demnach gute und böse „Engel“, denen sie ausgeliefert war. Die „bösen“ quälten sie, auch die Kinder seien bedroht. Das Wahnsystem sei ständig gewachsen und fester geworden. Steffi K. habe geglaubt, dass ihre Kinder nur im Jenseits sicher seien: „Ihre Tat war zutiefst altruistisch“, sagte Jonas. Dennoch könne sie nach außen hin unauffällig gewirkt haben: „Wir nennen das doppelte Buchführung“, so Jonas: „Sie war krank, aber besaß die Fähigkeit, das zu verbergen.“

Das Urteil soll am kommenden Donnerstag ergehen.