„Das System hat eine Schwachstelle“

Bei Verdacht auf Bestechung oder Vorteilsnahme können Bürger sich an den Anti-Korruptionsbeauftragten Wolfgang Pistol wenden. Dieser kann ihnen so lange Vertraulichkeit zusichern, bis es zu einer Gerichtsverhandlung kommt

WOLFGANG PISTOL, 61, ist der erste Anti-Korruptionsbeauftragte des Landes Schleswig Holstein

taz: Herr Pistol, Sie betreiben eine Art Anti-Korruptionshotline. Wer wendet sich an Sie?

Wolfgang Pistol: Ein gutes Beispiel ist eine Angestellte aus der Verwaltung, deren Chef Vorteilsnahmen betreibt. Sie nimmt Kontakt zu mir auf, ich prüfe die Beweislage und die Plausibilität der Anschuldigungen.Und versuche also für den Fall mehr Fleisch an die Knochen zu bekommen.

Die Betroffene hätte sich auch einfach an die Polizei wenden können.

Nicht wenn die Hinweisgeberin anonym bleiben möchte. Das System der Korruptionsbekämpfung hat eine gewisse Schwachstelle. Es gibt es eine Reihe von Korruptionsfällen, die nicht publik werden, weil die Leute sich nicht trauen, diese anzuzeigen. Da spielen Ängste um den Arbeitsplatzverlust eine große Rolle. Aber anonyme Hinweise bieten für Polizei und Staatsanwaltschaft meist nicht ausreichende Ermittlungsansätze und werden so oft nicht weiterverfolgt.

Sind Sie Ihren Hinweisgebern zu uneingeschränkter Diskretion verpflichtet?

Ein Ombudsmann kann Vertraulichkeit zusichern. Ich agiere quasi als Drehscheibe zwischen Hinweisgeber, Polizei und Staatsanwaltschaft. Als Privatmann muss ich nicht amtlich tätig werden, wenn jemand an mich herantritt. Polizei und Staatsanwaltschaft unterliegen dem Legalitätsprinzip, das heißt sie müssen Ermittlungen einleiten, sobald Anzeige erstattet wird oder der Verdacht auf eine Straftat besteht.

Können Sie die Diskretion auch vor Gericht gewährleisten?

Die Vertraulichkeit gegenüber einem Informanten kann solange gewahrt werden, bis es zu einer Gerichtsverhandlung kommt. Wenn ein Verteidiger im Verfahren vom Ombudsman fordert: „wo ist die Quelle“, muss diese preisgegeben werden.

In diesem Zusammenhang fordern Sie ein Zeugnisverweigerungsrecht für amtlich bestellte Anti-Korruptionsbeauftragte.

Die Frage ist doch, was wollen wir. Ich bin politisch auf Grundlage eines Kabinettsbeschlusses gewollt. Und wir wollen härter an die Korruptionsbekämpfung ran. Dann wäre es, sagen wir, unerfreulich, den Ombudsmann vor Gericht zu zwingen, die Identität desjenigen preiszugeben, der das ganze Verfahren erst ins Rollen gebracht hat.

Standen Sie schon vor der Situation?

Nein. Bislang konnte ich in vielen Fällen die Leute dazu bewegen, sich zu outen. Aber es wäre nicht einfach für mich, Hinweisgeber preiszugeben zu müssen. Schließlich haben die Menschen viel Vertrauen in mich gesetzt.

Wie könnte man eine Zwangspreisgabe der Quelle verhindern?

Dazu müsste man auf Bundesebene die Strafprozessordnung ändern und dem Paragraphen 53 einfach „amtlich bestellter Korruptionsbeauftragter“ hinzufügen. Aber ich sehe das leidenschaftslos.

Nach einem Jahr im Amt: Wie sieht Ihre Bilanz aus?

Es haben sich 135 Menschen an mich gewandt, davon sind 23 Fälle beim Staatsanwalt gelandet. Drei Verfahren sind eingestellt worden, 20 noch aktuell im Verfahren. Mit 570 Fällen sind wir bundesweit ein bisschen Provinz, aber im positiven Sinne.

INTERVIEW: R. WACHSMANN