: „MigrantInnen ins Lehramt“
Hamburgs Zweite Bürgermeisterin und Schulsenatorin Christa Goetsch (GAL) im taz-Interview über 100 Tage Schwarz-Grün, Haushaltszwänge, Kuschelkurs und Zuwandererkinder in den Gymnasien
CHRISTA GOETSCH, 55, war Lehrerin, GAL-Fraktionschefin in der Bürgerschaft und Spitzenkandidatin im Wahlkampf. Seit 7. Mai muss sie zusammen mit der CDU regieren.
INTERVIEW SVEN-MICHAEL VEIT
taz: Frau Goetsch, wie ist die Stimmung nach 100 Tagen Schwarz-Grün im Senat?
Christa Goetsch: Die Stimmung ist gut und der Umgang fair.
Klingt nach Kuschelkurs in der Wohlfühlkoalition.
Gar nicht. Wir kuscheln nicht, sondern haben uns viel vorgenommen, und das wollen wir zügig und wie vereinbart umsetzen. Als nächstes großes Thema stehen Anfang September die Haushaltsberatungen an. Wenn wir den Doppelhaushalt für die nächsten beiden Jahre im Senat verabschiedet haben, geht es mit Volldampf weiter.
Am Geld zerbrechen mitunter Freundschaften. Der Koalition fehlen gut drei Milliarden Euro in den nächsten vier Jahren, um alle Wünsche zu finanzieren. Wo wird zuerst gekürzt?
Die Vereinbarungen im Koalitionsvertrag haben Priorität, darüber sind wir uns einig. Daneben wird es in den Behörden zu Umschichtungen kommen.
Umschichten heißt, Nachrangiges festzulegen. Was wird nicht umgesetzt oder vertagt?
In allen Behörden müssen Rangfolgen aufgestellt werden, das ist klar. Aber es gibt noch ungenutzte Sparpotenziale und auch Möglichkeiten, Geld zu erwirtschaften. Zudem hoffen wir mit guten Gründen auf Steuermehreinnahmen. Aber das ist Teil der Haushaltsberatungen in drei Wochen, da will ich nicht vorgreifen.
Sprechen wir konkret über Ihre Schulbehörde: Sie brauchen über drei Milliarden Euro, um Schulen zu sanieren. Es gibt die Idee, die Gebäude der Saga/GWG zu übereignen, damit diese die Sanierungen mit Krediten durchführt, die der Senat nicht aufnehmen will, um offiziell keine Schulden zu machen.
Es werden derzeit mehrere Modelle für eine Sanierung geprüft. Aber es wird keine Schule und kein Schulgelände privatisiert...
Davon war auch keine Rede. Saga/ GWG ist eine zu 100 Prozent städtische Gesellschaft.
Es wird keine Schule an wen auch immer übereignet oder verschenkt. Aber seit einem Jahr saniert Saga/ GWG in einem Modellversuch 32 Schulen im Süderelberaum. Das läuft sehr gut. Es ist vorstellbar, das auszuweiten. Aber entschieden ist noch nichts.
Sie müssen sich zweier gegenläufiger Volksinitiativen erwehren: für den Erhalt der Gymnasien ab Klasse 5 und für die Einführung der „Schule für Alle“. Sitzen Sie da unbequem zwischen den Stühlen?
Direkte Demokratie ist ein wichtiges Instrument, das haben wir Grüne immer gefordert und befördert. Das bleibt auch so, wenn es um Anliegen geht, die wir anders sehen. Ich denke, in der Schulpolitik liegen wir in der goldenen Mitte mit unserem Kurs der siebenjährigen Primarschule – also ein Jahr kostenlose Vorschule plus sechs Jahre gemeinsamen Lernens – und danach zwei Wege zum Abitur in Stadtteilschule oder Gymnasium.
Als Oppositionspolitikerin waren Sie Mitinitiatorin der Volksinitiative „Schule für Alle“. Unterstützen Sie die weiterhin?
Nein. Ich bin jetzt Schulsenatorin für alle und setze das um, war wir guten Gewissens und mit Überzeugung im Koalitionsvertrag vereinbart haben.
Nach den Ferien starten die regionalen Schulentwicklungskonferenzen mit den Elternräten. Hätte so ein Verfahren nicht im Schulgesetz verankert werden müssen?
Nein. Wir lassen uns von den Elternräten beraten. Wir suchen den Dialog. Dazu braucht man kein Gesetz, sondern die Bereitschaft zur Kommunikation. Die haben wir. Die Schulentwicklung ist nach dem Gesetz Aufgabe der Behörde, die hier für die Planung der Primarschulstandorte ein zeitlich begrenztes Beratungsgremium mit den Beteiligten vor Ort schafft.
Diese Konferenzen dürfen aber nur über das „Wie“ der Primarschule mitentscheiden, nicht über das „Ob“.
Das Ob ist eine politische Entscheidung, und die wurde getroffen. Über die Ausgestaltung und die Standorte aber wird auf den Schulentwicklungskonferenzen gesprochen. Auch das ist ein breiter Beteiligungsprozess, der so noch nie in der Hamburger Schulpolitik stattgefunden hat.
Sie haben schon viele Gespräche mit Schulleitungen, Lehrern und Eltern geführt. Haben Sie immer noch die Hoffnung, die Menschen von Ihrer Reform zu überzeugen?
Die Überzeugungsarbeit muss weiterhin geleistet werden. Das ist eine große Aufgabe. Auch das ist eine neue Kultur des Dialogs in der Schulpolitik. Und ich bin sicher, dass wir überzeugende Argumente haben.
So überzeugend, dass Sie auch die Skeptiker und Gegner in der CDU bekehren können?
Ich bin schon in CDU-Veranstaltungen und diversen anderen Begegnungen mit Kritikern der Schulreform gewesen. Gerade die Diskussionen mit der Basis des Koalitionspartners sind konstruktiv.
Und haben Sie auch Erfolg?
Das sehen wir später. Wir haben ja gerade erst angefangen mit der Überzeugungsarbeit.
Es gibt die Befürchtung, Kinder mit Migrationshintergrund würden nach der Primarschule noch stärker als bisher vom Gymnasium ferngehalten, weil nur noch die LehrerInnen entscheiden, nicht mehr die Eltern.
Diese Sorge kommt daher, dass nach der 4. Klasse viele Kinder falsch eingestuft und gerade die mit Migrationshintergrund oft schlechter und nicht nach ihrer Leistung beurteilt wurden. Aber künftig wird die Einstufung nach der 6. Klasse erfolgen, da sind Kinder in ihrer Entwicklung besser einzuschätzen. Außerdem: Diese Kinder stellen fast die Hälfte aller SchülerInnen – ohne sie würden die Gymnasien ausgedünnt. Das will niemand.
Sie wollen mehr Durchlässigkeit auch für Kinder mit Migrationshintergrund erreichen?
Auf jeden Fall. Aber auch die Stadtteilschule führt bis zum Abitur. Das werden wir noch sehr viel deutlicher machen müssen. Zudem wollen wir eine große Kampagne starten, um mehr MigrantInnen ins Lehramt zu bekommen. Das hätte dann auch eine Vorbildfunktion für die SchülerInnen.
CDU-Innensenator Ahlhaus, bislang als Hardliner bekannt, hat am Montag im taz-Interview eine „neue Flüchtlingspolitik“ vorgeschlagen. Er möchte Flüchtlingen „ehrliche Angebote“ auch in der Bildung machen. Was halten Sie davon?
Es ist inhuman, dass vielen Flüchtlingen hier über Jahre hinweg Integrationsmaßnahmen vorenthalten wurden. Die schwarz-grüne Koalition hat sich darauf verständigt, dass es diese Angebote vermehrt geben soll. Insofern finde ich diese Aussagen von Senator Ahlhaus positiv.
Hält diese Koalition die vierjährige Wahlperiode durch?
Nach den ersten 100 Tagen habe ich daran keinen Zweifel, wenn wir gemeinsam so weiter arbeiten wie bisher.