Auf der Party mit wahllosen Platten

Inzwischen scheint ja wieder alles zu gehen: Effekte, Drumpads, Mähnen, freie Oberkörper, Exaltiertheit. Beim Auftritt der Band Yeasayer fand sich am Donnerstag im Lido alles vereint. Die Jungs aus New York spielten ein tolles Konzert

Früher hätte man solche Musik sperrig genannt. Das Wort sperrig taugt nämlich ganz gut, es ist vergleichbar einfach und handhabbar, um Musik zu greifen, die mehr als drei Akkorde, einen üblichen Aufbau (Strophe, Refrain, Brücke) oder den einfachen, kickenden Beat kennt. Aber die Vokabel sperrig ist, mitsamt der entsprechenden Musik, reichlich aus der Mode gekommen. Jetzt scheint es allerdings so, dass es ein Comeback der sperrigen Musik zu vermelden gäbe.

Am Donnerstagabend spielten Yeasayer aus Brooklyn, New York, im erstaunlich gut gefüllten Lido. Alle waren gekommen, um diese sperrige Musik zu hören und nicht allein, weil während der Festivalwochen kaum Konzerte in der Stadt stattfanden. Obwohl, vielleicht auch deswegen. Dass Yeasayer aber nicht nur abnickenden Respekt, sondern sogar recht unintellektuelle Begeisterung auslösten, überraschte dann doch.

Denn was sah und hörte man? Vier zusammengeworfene Jungs, die sehr zusammengeworfene Musik machten. Ein Schlagzeug mit Drumpads, fast ein elektronisches Schlagzeug, wie man es zuletzt vor 20 Jahren in verrauchten Musiksendungen sehen konnte. Und einen kurzhaarigen Schlagzeuger mit Brille, dafür oben ohne. Einen Bassisten mit kaum sichtbarem Schnäuzer und einer gezwirbelten Matte, der gut ins Line-up von Soundgarden gepasst hätte. Einen unscheinbaren Gitarristen. Und einen exaltierten, gerne fuchtelnden Sänger irgendwo zwischen Thom Yorke und Dirk Darmstaedter.

Und die Musik erst: kein Laut ohne Effekt, schon gar nicht die Stimme. Viel flächiges Gewaber, langgezogene Intros, Gitarrenläufe irgendwo zwischen U2 und Mory Kanté. Weltmusik, Afropop, Retropop, manchmal tanzbar, immer ernsthaft, zuweilen eine Spur zu bombastisch, dann wieder aufgelockert und mitreißend. Yeasayer griffen tief in längst verstaubt und verwest gehofften Kisten voller untergegangen geglaubter Musik, und gerade diese recht geschmacksfreie, mutig zu nennende Art, Stile zu verwenden, neu zu mischen, manchmal auch nur taktweise, dann wieder in längeren Passagen, macht die Band aus.

Sänger Chris Keating brachte mit seiner immer wie gedoppelt klingenden, sehr variantenreichen Stimme das gewisse 80er-Flair in die Musik, die zu Vergleichen wie Heaven 17, David Bowie oder auch Howard Jones anregte. Tja, Vergleiche – später fielen auch Namen wie Pink Floyd, Bots, The Nits, Real Life, Kajagoogoo, Marillion; je abwegiger, desto treffender. Yeasayer ließen aber auch nichts aus. In dem einen Stück hörte man plötzlich einen Jungle-Breakbeat-Bass, in dem anderen Chöre im Falsett, was besonders Bassist Ira Wolf Tuton gut drauf hatte. Richtig, das war der Typ mit der Mähne, der in einer Grungeband spielen könnte. So vom Aussehen her.

Aber inzwischen scheint ja wieder alles zu gehen. Effekte, Drumpads, Mähnen, freie Oberkörper, Exaltiertheit. Bei Yeasayer fand sich das alles vereint. Und trotz dieser ganzen schlimmen Dinge, trotz der Sperrigkeit ihrer Stücke, spielten sie ein begeisterndes Konzert.

Worauf ihre Musik allerdings hinauswill, bleibt auch auf Textebene fraglich (eingängigste Zeile: „We’ll get some jewelry for your mama“). Wann, wozu und in welchen Situationen hört man diese Musik? Wenn man in Plüschpantoffeln durch ein leeres Haus wandert? Wenn es einen nach zu viel Kiff in die Neondisko treibt? Oder der November die ausgefallene Nebelmaschine doch nicht ersetzen kann? Man stelle sich nur mal eine Party vor, auf der wahllos auf dem Flohmarkt zusammengekaufte Platten hintereinander abgespielt werden: Wer möchte auf dieser Party schon lange bleiben, gar tanzen oder sonst wie physisch werden? Geht man nach diesem Konzert, muss man sagen: erstaunlich viele. RENÉ HAMANN