Katholiken auf Wanderschaft

Seit einem Jahr wird im schleswig-holsteinischen Büchen wieder auf christliche Wallfahrt gegangen. Am Tag von Marias Aufnahme in den Himmel spazieren die Gläubigen gemeinsam – um unerfüllte Kinderwünsche geht es dabei nicht mehr

Barbara Rickmann findet es „schön, dass hier so unterschiedliche Menschen vertreten sind“

VON DANIELA KREBS

Eine singende und betende Gruppe läuft an der Straße entlang. Ganz vorne werden ein Kreuz, eine Marienstatue und mehrere Fahnen getragen. Verteilt unter den etwa 90 Menschen sind Wimpel mit christlichen Symbolen zu sehen. Ein ständiges „Mutter Gottes“ und „Herr erbarme Dich“ ertönt aus den laufenden Reihen. Autos fahren vorbei, hupen, und es ist nicht ganz klar, ob sich die Fahrer freuen, die Kreuze und Fahnen zu sehen, oder ob sie stören wollen. Ein paar besonders hartnäckige junge Männer fahren mehrmals an der Gruppe vorbei. Aus dem heruntergelassenen Fenster rufen sie immer wieder „Satan“, hupen und lassen den Motor aufheulen. Einige Personen aus der wandernden Gruppe heben daraufhin die Arme, teils mit Regenschirmen bewaffnet. Andere winken freundlich.

Die Menschen in dieser Prozession sind auf christlicher Wallfahrt nach Büchen. Eine alte Tradition, die hier,am östlichen Rand Schleswig-Holsteins, erst im vergangenen Jahr wiederbelebt wurde. Vor 800 Jahren gab es hier die ersten Wallfahrten. Besonders Frauen und Männer mit unerfülltem Kinderwunsch pilgerten jährlich am 15. August dorthin, an Mariä Himmelfahrt, um in Büchen das Marienbild anzubeten. Dieses sollte heilende Kräfte besitzen. Während der Reformation, als Büchen im Jahr 1554 mehrheitlich protestantisch wurde, ging diese Tradition verloren. Erst im vergangenen Jahr brachen vom rund sechs Kilometer entfernten Witzeeze wieder Wallfahrer nach Büchen auf. „Dafür gab es aber keinen konkreten Anlass“, erklärt Dieter Linnemeyer. Der weißhaarige Mann lächelt und setzt seine Brille wieder auf, um die Liedertexte im Gesangsheft lesen zu können.

Hamburgs katholischer Erzbischof Werner Thissen ist extra für die Wallfahrt angereist. Stets lächelnd, zieht er die Aufmerksamkeit der Gemeinde auf sich. In seiner Begrüßungsrede vergleicht der Erzbischof die Wallfahrt mit einem guten Weinbrand: „Der schmeckt auch in jedem Alter, von 18 bis 80“, sagt Thissen und schmunzelt. Hier und da erklingt Lachen. Nach einer kleinen Umfrage hat der Erzbischof dann auch heraus, wie es um das Alter der diesjährigen Wallfahrer bestellt ist: Der älteste Teilnehmer ist 80, der jüngste ist zweieinhalb, darf aber auch im Kinderwagen mitfahren.

Nur spärlich vertreten sind die 15- bis 40-Jährigen. Florian Kock, 22, erklärt sich das mit dem Wallfahren an sich: Es sei „keine Aktivität, die Jugendliche gerne machen. Bei anderen christlichen Veranstaltungen hier im Kreis sind mehr junge Leute dabei.“ Erzbischof Thissen wiederum glaubt, dass gerade heute die Wallfahrt neue Popularität erreicht hat: „Denken Sie mal an Hape Kerkeling. Der macht die Pilgerreise wieder modern.“

Die Menschen pilgern heute nicht mehr wegen eines Kinderwunsches nach Büchen. Die Teilnehmerinnen und Teilnehmer haben ihre eigenen Wünsche und Probleme, die sie in ihre Gebete aufnehmen wollen. Eine mit spazierende Jugendliche weiß nicht so genau, warum sie eigentlich dabei ist. „Ich kann da gerade keinen Grund nennen“, sagt das junge Mädchen schüchtern und versucht sich hinter einer Gemeindefahne zu verstecken.

„Ich bin dafür, dass man seinen Glauben nach außen auch zeigt“, sagt dagegen Michael Schwarz. „Was tun die Christen denn sonst noch öffentlich? Andere Religionen tun das doch auch. Muslime bauen neue Moscheen. Da müssen wir auch mal Flagge zeigen.“ Die neben dem 45-Jährigen Stehenden nicken zustimmend. Schwarz läuft mit einigen Ordnern in orangefarbenen Westen am Ende des Umzuges.

Etwas weiter vorne läuft Barbara Rickmann. Sie findet es „schön, dass hier so unterschiedliche Menschen vertreten sind. Hier ist es egal, woher man kommt. Es gibt keine Diskriminierung, wir sind alle eine Gemeinschaft, eine Familie.“ Die 48-Jährige freut sich, dass auch Italiener und Menschen aus anderen Gemeinden dabei sind. Werner Ney, ein älterer Mann mit einem großen, bunten Regenschirm in der Hand, wohnt eigentlich in der Nähe von Osnabrück und hat seinen Urlaub in Mecklenburg unterbrochen, um an dieser Wallfahrt teilzunehmen.

Der Weg nach Büchen ist schmal, die Prozession zieht sich in die Länge. „Man kriegt hier hinten gar nicht mit, was gerade vorne passiert“, beschwert sich Grete La Prova. Eigentlich sei geplant gewesen, ein Mikrofon und Lautsprecher mit zu transportieren. „Das Mikrofon ist aber kaputt“, sagt sie und blättert in ihrem Gesangsheft. „Jetzt wissen wir gar nicht, bei welchem Gebet der Erzbischof ist.“

Nach etwas mehr als einer Stunde und ungefähr sechs Kilometern kommt die Prozession an der katholischen St. Marienkirche an. Erzbischof Thissen und Pfarrer Ulrich Krause verschwinden schnell im Pfarrhaus, um sich für den Gottesdienst umzuziehen. St. Marien ist von außen kaum als Kirche erkennbar. Unauffällig gliedert sich das rote Backsteingebäude mit den eckigen Buntglasscheiben in eine Reihe Wohnhäusern ein.

Jetzt läuten die Glocken. Dabei hat St. Marien gar keinen Glockenturm und das Glockenspiel stammt aus einem Kassettenrekorder, der draußen auf einem Tisch steht. Drinnen hängen an den Wänden Bilder der Kreuzigung Christi. Die Durchgangstür zum Garten ist offen, Tageslicht erhellt den voll besetzten Saal. Etwa 50 Gläubige sind nun noch zur Messe erschienen, ohne zuvor mit gepilgert zu sein. Als schon Stille unter den Anwesenden einkehrt, werden noch weitere Bierbänke hereingetragen, die eigentlich schon für das anschließende Grillfest im Kirchgarten aufgestellt worden sind. Trotzdem müssen hinten immer noch einige Gottesdienstbesucher stehen.

Wieder läutet eine Glocke, und Orgelmusik setzt ein. Der Erzbischof, der Pfarrer und einige Messdienerinnen und Messdiener treten ein. Erzbischof Thissen stellt sich hinter das Pult und beginnt seine Predigt. „Hätte ich Büchen und dessen Wallfahrt nicht gekannt, hätte ich was in meinem Leben verpasst“, erzählt er und lacht wieder einmal. Die Menge applaudiert. „Schön dass wir die Wallfahrt wieder hier haben“, sagt er und zieht sich fürs erste zurück. Auftritt Pfarrer Krause, der die Anwesenden zum gemeinsamen Gebet aufruft. Nun kehrt wirklich Stille ein unter den dicht gedrängten Gläubigen.

Weder das Datum für diese Wallfahrt noch der dabei zurückgelegte Weg sind authentisch: Als in Büchen das Pilgern wieder aufgenommen wurde, wurde beides neu festgelegt. Denn die ursprünglichen Daten sind der katholischen Gemeinde nicht mehr bekannt. „Während der Reformation“, hatte Dieter Linnemeyer am Rande der Prozession ausgeführt, „sind alle Papiere darüber verloren gegangen.“

Nicht mal das Gnadenbild der Mutter Gottes, das in den früheren Jahrhunderten von den Wallfahrern aufgesucht worden war, ist noch vorhanden. Es soll in den Wirren des Dreißigjährigen Krieges verloren gegangen sein. Einzig erhalten ist der Schrein, in dem das Büchener Marienbild früher aufbewahrt wurde. Er wird in der örtlichen Marienkirche aufbewahrt – der evangelischen allerdings.