: Sport, Rock `n` Roll und Fluppen
Wenn andere Menschen schlafen, geht Karl Roschinski seiner Leidenschaft als Sportfan nach. Im Knust lädt er jeden Morgen ab 6 Uhr zum gemeinsamen Olympia-Gucken mit Frühstück ein
Die Idee des gemeinsamen Verfolgens einer Großveranstaltung im TV ist so alt wie das Fernsehen selbst. Bereits 1936 wurde in so genannten Fernsehstuben gemeinsam die Berichterstattung der Olympischen Spiele in Berlin verfolgt. Verschiedene Hörfunk- und TV-Stationen haben mit „Rudelgucken“ (hr) oder „La-Ola-Kino“ (1Live) via Internetabstimmung eigene Übersetzungen für das Public Viewing gefunden. JKÖ
VON JULIAN KÖNIG
Es ist 5.48 Uhr, als Karl Roschinski etwas verschlafen das Knust im alten Rinderschlachthof aufschließt. „Ich bin erst um halb drei zum Schlafen gekommen“, sagt er und schaltet sofort die TV-Geräte ein. Parallel läuft die Olympia-Live-Übertragung auf Eurosport und im ZDF, damit auch ja keine interessante Entscheidung verpasst wird.
Anschließend holt der für das Tagesgeschäft zuständige Kellner eine alte Schallplatte mit Nationalhymnen aus den 1950er Jahren hervor. „Heute: Dänemark – für dich Fred“, verkündet er. Fred ist sein dänischer Mitarbeiter, den er sich auch prompt schnappt. „Wir entzünden jetzt das Olympische-Knust-Feuer“, sagt er und die beiden drehen eine große Runde um den Kneipenvorplatz. In der Hand eine handelsübliche Gartenfackel. Vor dem Eingang angekommen wird eine zweite Fackel symbolisch entzündet und beide verneigen sich – und das jeden Tag.
Seit 20 Jahren veranstaltet Karl Roschinski alle vier Jahre das olympische „Public Viewing“. Früher noch in seiner ehemals eigenen Kneipe, dem „Roschinsky’s“ auf dem Hamburger Berg. In diesem Jahr erstmalig im Knust. Seit drei Jahren ist die Rockkneipe in St. Pauli seine vorerst letzte Station in der Branche.
In den letzten 31 Jahren betrieb er mehr als ein Dutzend Kneipen in und um Hamburg herum. „Angefangen habe ich mit dem Auenland in Bargteheide. Das war 1977. Ich kann sagen: Es war die erste Kultkneipe mit Livemusik“, erzählt er. Größen der „Neuen Deutschen Welle“ wie Trio, Felix De Luxe oder Polit-Musiker Rio Reiser spielten auf der Bühne. Wie es damals gewesen sein muss, kann man an seinem Gesicht ablesen. Immer wieder lacht er und schüttelt den Kopf.
Aus einem Hinterzimmer holt er einen Koffer hervor. Darin bewahrt er seine Erinnerungen auf. Alte Zeitungsartikel, Fotos und eine Art großformatiges Poesiealbum. Viele Künstler und Bands haben sich hier verewigt. „Channel 5, Erste Allgemeine Verunsicherung“, zählt Roschinski beim Durchblättern auf. Dann stößt er auf eine alte Werbeanzeige und grinst. „Während andere mit Live-Musik geworben haben, stand bei mir: Feuerlöscher, saubere Damen- und Herrentoiletten, sowie weiße und rote Ventilatoren auf dem Flyer“, erzählt er.
Wenn Roschinski in seiner Vergangenheit kramt, springt er im Sekundentakt zwischen Sport, Musik und Politik hin und her. Der Sohn eines Wirtes wollte eigentlich lieber Sportreporter werden, als in der Gastronomie zu arbeiten.
Nun hat er beides vereint. Sein Olympia-Studio ist in Hamburg legendär. In diesem Jahr hat er auf www.neigungsgruppesport.wordpress.com seinen eigenen Webblog. Täglich informiert er aus seiner Sicht über das olympische Tagesgeschehen, bewertet Schiedsrichterentscheidungen und berichtet über Kuriositäten rund um Olympia.
Am Tresen sitzen mittlerweile einige Gäste. Roschinski hat stets einen Stapel „Trivial Pursuit“-Fragekarten herumliegen. Fragen und Antworten hat der „Knust-Jauch“ ohnehin aus dem Stehgreif parat. „Wer war als die Sehne bekannt“, fragt er in die Runde. Keine Antwort. „Harald Norpoth, Silbermedaillengewinner 1964 in Tokio über 5.000 Meter“, löst er dann selbst auf.
Hinter ihm an der Wand hängt ein Fußball-Trikot des FC St. Pauli mit der Rückennummer drei und Bayern Münchens Franck Ribéry hinten drauf. „Ich habe die St. Paulianer damals gefragt, ob sie böse wären, wenn ich mir ein Trikot von Ribéry kaufen würde“, erzählt der 53-Jährige und zeigt dabei das Unikat von allen Seiten. Roger Hasenbein, Aufsichtsratmitglied beim Kiez-Klub, schenkte ihm daraufhin lieber die St. Pauli-Variante. Neben dem Vereinsemblem sind die Initialen des Kneipiers aufgedruckt, wie es die Trainer und Betreuer der Mannschaft auch haben. Es ist zweifelsohne eins seiner Lieblingsstücke.
Auf die Frage, was er nach den Olympischen Spielen mache, antwortet er: „Eine Woche später beginnen doch die Paralympics“, und steckt sich eine Roth Händle an.