: „Die NS-Zeit kam mir immer so weit weg vor“
In ihrem Freiwilligen Kulturellen Jahr erforschte Simone Tapken die bis dahin völlig unbekannte Geschichte der Baracken in Bremen-Mahndorf. Dort waren in den 40er Jahren russische Zwangsarbeiter untergebracht
SIMONE TAPKEN, 20, macht ihr Freiwilliges Kulturelles Jahr in Bremen-Mahndorf FOTO: PRIVAT
taz: Frau Tapken, wieso beschäftigt man sich als 19-Jährige so intensiv mit Zwangsarbeit von vor fast 70 Jahren?
Simone Tapken: Ich wohne quasi um die Ecke von den Baracken. Schon beim Bewerbungsgespräch für das Freiwillige Kulturelle Jahr im Bürgerhaus wurde ich gefragt, ob ich etwas über die Baracken wüsste. Merkwürdigerweise habe ich sie vorher nie bewusst gesehen.
Was hat Sie persönlich am meisten an dem Thema interessiert?
Der Lokalbezug. Man lernt zwar in der Schule viel über den Nationalsozialismus, aber es kam mir immer so weit weg vor, dabei gab es das auch hier vor Ort.
Und wie haben Sie mit der Recherche begonnen?
Ich dachte: Ich guck mal ein bisschen in Büchern und im Internet, aber dort gab es keine Informationen. Ich habe die Anwohner des Bahnhofs, wo die Baracken stehen, angeschrieben. Einer hat geantwortet und gleich eine Skizze geschickt. Dann ist die Presse darauf aufmerksam geworden und schon kurze Zeit später haben viele Menschen angerufen.
Sind Sie auch auf Menschen gestoßen, die mit dem Thema nichts mehr zu tun haben wollten?
Viele Menschen waren daran interessiert, das Thema aufzuarbeiten. Es gab aber auch welche, die angerufen und gesagt haben: Das ist alles eine Lüge, die Lager gab es gar nicht.
Wie haben Sie dann weiterrecherchiert?
Ich war im Staatsarchiv Bremen und habe eine Liste der Lager in Bremen gefunden. Da habe ich entdeckt, dass es vier Lager in Mahndorf gab, das wusste ich vorher gar nicht. Damit hat sich erklärt, warum die Menschen so viel Widersprüchliches gesagt haben. In den Baracken am Bahnhof waren die „Zivilrussen“ untergebracht, das waren zum Teil auch Familien. In den anderen Lagern lebten Kriegsgefangene.
Haben Sie auch versucht, mit den Zwangsarbeitern Kontakt aufzunehmen?
Das war schwierig. Aber es hat sich ein Mann bei mir gemeldet, der Briefe eines ehemaligen Zwangsarbeiters hatte. Der Russe hatte in den Neunzigern über das Radio eine Frau gesucht, die ihm damals in Mahndorf geholfen hatte. Darüber sind die beiden in Kontakt gekommen. Viele Deutsche haben für die Kriegsgefangenen heimlich Essen versteckt und ihnen dann zugeflüstert, wo es lag. Sie durften ja nicht miteinander reden.
In zwei Wochen beenden Sie ihr Kulturjahr, Ende des Monats läuft die Ausstellung im Staatsarchiv aus. Ist das auch das Ende des Projektes?
Natürlich werde ich nicht mehr so viel Zeit dafür haben, aber ich werde es nebenher weiter daran arbeiten. Es können sich auch immer noch Leute im Bürgerhaus Mahndorf melden. Es leben ja noch einige Zeitzeugen oder deren Kinder, deswegen muss man das heute erforschen. Wenn man es später macht, erfährt man nichts Genaues mehr. INTERVIEW: JANA WAGNER
Ausstellung: bis 30. August im Staatsarchiv Bremen