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Archiv-Artikel

„Es muss mehr Geld ins System“

Ohne eine Absenkung der Lehrerarbeitszeit kann eine Schulreform in Hamburg nicht gelingen, mahnt GEW-Chef Klaus Bullan zu Schuljahresbeginn. Der Senatorin bescheinigt er aber einen guten Stil

INTERVIEW KAIJA KUTTER

taz: Herr Bullan, im Eingang Ihres Gewerkschaftshauses hängt ein Plakat: „Christa, enttäusch uns nicht!“ Wie zufrieden sind Sie mit Senatorin Goetsch?

Klaus Bullan: Es gibt die klassischen Rollenkonflikte. Wir haben ja gerade gewarnt, dass zu wenig Lehrer eingestellt werden, weil bis 2012 ein Drittel in Pension geht. Wir sagen, wir brauchen pro Jahr 1.000 Neueinstellungen. Die Behörde geht von einem viel niedrigeren Bedarf aus. Aber man kann nicht bestreiten, dass die GAL mit ihrer Schulstrukturreform ein hohes Tempo vorgibt. Mit der grünen Senatorin ist ein neuer kommunikativer Stil eingezogen, der Lehrer, Eltern und Schulleitungen frühzeitig informiert und einbezieht. Sie will alle mitnehmen. Das ist nicht nur eine Herrschaftstechnik, das ist ernst gemeint.

Klingt sehr zufrieden …

Nur für das zentrale Problem ist keine Lösung in Sicht. Das ist die Ausstattung der Schulen, die wir in allen Schularten für eine erfolgreiche Reform brauchen. Das bedeutet kleinere Klassen in allen Schularten. Und das bedeutet eine Absenkung der Lehrerarbeitszeit. Durch das Arbeitszeitmodell von 2003 muss jeder Hamburger Lehrer im Schnitt zwei Stunden pro Woche mehr unterrichten. Es gibt Kollegen, die 29, 30 Stunden haben. Es wurde uns seit Jahren eine Evaluation versprochen. Jetzt gibt es den Bericht der so genannten Behler-Kommission, der in der Behördenschublade schmort, weil die Senatorin ihn in Ruhe studieren möchte. Aber wir wollen ihn öffentlich diskutieren.

Wie viele Stunden gehen?

Man müsste zu den alten Obergrenzen zurück. Vor 2003 hatten zum Beispiel Gymnasial- und Berufsschullehrer höchstens 24 Stunden pro Woche unterrichtet.

Das kostet Stellen. Und zwar weit mehr als Christa Goetsch für kleinere Grundschulklassen aus den Koalitionsverhandlungen mitbringt.

Es sollte zunächst der Zustand vor der großen Sparwelle von 2001 hergestellt werden. Dafür bräuchten wir 1.000 bis 1.500 Stellen.

Hamburg hat Haushaltsprobleme. Wer soll das bezahlen?

Die GEW fordert eine Politik, die zu mehr Steuereinnahmen führt. Wir halten auch das Geld für die Elbphilharmonie für falsch angelegt, solange es den Schulen fehlt. Und der ausgeglichene Haushalt sollte kein Dogma sein.

Könnte man nicht sagen, wichtig sind kleine Klassen, das nützt den Kindern. Die Lehrer aber arbeiten schon fünf Jahre mehr und sollen weiter Opfer bringen?

Nein. Es geht um die Gesundheit der Lehrer und um qualitativ guten Unterricht. Die Lehrer sind zu stark belastet. Ein Viertel scheidet frühzeitig wegen Arbeitsunfähigkeit aus. Die Hälfte arbeitet auf Teilzeit, weil sie es anders nicht schafft. Das führt dazu, dass pensionierte Lehrer an die Armutsgrenze rutschen. Es muss viel mehr Geld ins System, wenn die geplante Reform ein Erfolg sein soll. Das gilt auch für die Klassengröße. Nur wenn Eltern sehen, dass wirklich fünf Kinder weniger in der Klasse sind, sind sie zu überzeugen.

Sie sind auch Mit-Initiator der Volksinitiative „Eine Schule für alle“. In drei Wochen startet die zweite Phase. Bis zum 9. Oktober brauchen Sie 62.000 Unterschriften. Schaffen Sie das?

Ich habe ein gutes Gefühl. Da die Schulstrukturreform auch durch die Regierung betrieben wird, gibt es eine große Aufmerksamkeit für das Thema. Viele Leute sind der Meinung, man sollte keine halben Sachen machen. Wenn man soziale Selektion vermeiden will, muss man die Kinder bis zum Ende der Pflichtschulzeit gemeinsam unterrichten und nicht nach Klasse sechs in zwei Säulen aufteilen.

Fürchten Sie die Volksinitiative „Wir wollen lernen“ für Gymnasien ab Klasse 5?

Nein, weil klar ist, dass „Wir wollen lernen“ viele Menschen ausgrenzt und auf Selektion setzt. Aber viele Eltern, die ihr Kind heute aufs Gymnasium schicken, sind nicht für ein gegliedertes System. Sie tun dies, weil sie es für den sicheren Weg zum Abitur halten. Die Schule für alle bietet noch mehr Kindern den sicheren Weg zum Abitur.

Fotohinweis:KLAUS BULLAN, 56, ist Berufsschullehrer und wurde im April für eine zweite Amtszeit zum Vorsitzenden der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) gewählt. Mit rund 9.000 Mitgliedern, ist sie die größte Bildungsgewerkschaft der Stadt. FOTO: PRIVAT