: Kanonenboote für Billigflaggen
Operation vor Somalia: Soll die Bundeswehr-Marine von Piraten gekaperte Schiffe in Übersee retten? Das fordert der Bremer Reeder Nils Stolberg, dessen Frachter „BBC Trinidad“ entführt wurde. Dabei fährt das Schiff unter der Flagge von Antigua
Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International (ai) hat Somalia angesichts zahlreicher bei Piratenüberfällen am Horn von Afrika verschleppter Seeleute zum Handeln aufgerufen. Derzeit seien mehr als 130 Seeleute in der Hand von Piraten. Ai drängte die somalischen Behörden, auf die „sichere Freilassung“ der Geiseln hinzuarbeiten. Außerdem müssten die Behörden ihren Einfluss geltend machen, damit die Verschleppten mit medizinischer Hilfe und Nahrungsmitteln versorgt würden. taz
Von Christian Jakob
Nils Stolberg verliert ungern Zeit. Nur 13 Jahre brauchte der Reeder aus Bremen, um seine „Beluga Shipping“ zu einer der weltgrößten Schwergut-Reedereien auszubauen. Und so drückte er auch aufs Tempo, als Ende August sein Stückgutfrachter „BBC Trinidad“ auf dem Weg von Texas in den Oman vor der somalischen Küste von Piraten entführt wurde.
Stolberg nahm Kontakt zum Verteidigungsministerium auf und forderte „den Schutz der deutschen Marine“ für Konvois von Frachtern. „Innerhalb von zwei Wochen“, so teilte mit, erwarte er von Verteidigungsminister Franz-Josef Jung (CDU), „grünes Licht“ für den Einsatz der Bundeswehr.
Stolbergs Ansinnen ist nachvollziehbar: Im Rahmen der Anti-Terror-Operation „Enduring Freedom“ kreuzt die Bundeswehr-Fregatte „Emden“ ohnehin seit sieben Monaten vor dem Horn von Afrika. Doch das Bundestagsmandat für „Enduring Freedom“ erlaubt es ausschließlich, zur Selbstverteidigung oder in Form von „Nothilfe“ Gewalt anzuwenden. „Präventiv“ Piraten zu vertreiben oder gekaperte Schiffe zu verfolgen und zurückzuerobern – das fiele in den Bereich polizeilicher Aufgaben: Für deutsche Kriegsschiffe tabu.
Für den Verband Deutscher Reeder (VDR) eine groteske Situation: „Die Piraten wissen das – und lachen sich tot“, sagt VDR-Sprecher Max Johns. Das Seegebiet vor Somalia ist eines der gefährlichsten der Welt, Entführungen und Überfälle häufen sich. Aus VDR-Sicht spricht daher einiges dafür, der Bundeswehr den Schutz der Handelsschiffe zu gestatten.
Einen Schönheitsfehler, mindestens, hat die Sache jedoch: Seit ihrem Stapellauf im Jahr 2006 läuft das Beluga-Schiff „BBC Trinidad“ unter der Billigflagge des kleinen karibischen Inselstaates Antigua und Barbuda, die 13-köpfige Besatzung besteht aus Slovaken, Russen und Filipinos. Für VDR-Sprecher Johns ist das kein Problem: „Die Bundeswehr soll ja nicht nur deutsche Schiffe schützen, sondern alle, die durch das Gebiet fahren.“
Im April rettete die „Emden“ in einer Nothilfsaktion einen japanischen Frachter vor Piraten. „Und da hat ja auch niemand gesagt, wir geben deutsche Steuergelder dafür aus, japanischen Reedern zu helfen“, sagt John.
Die Gefahr, die Bundeswehr würde qua Selbstermächtigung mit Polizeibefugnissen ausgestattet, um künftig in unguter kolonialer Tradition mit Waffengewalt die Interessen deutscher Reeder zu schützen, sieht Johns nicht. „Uns geht es ausdrücklich nur darum, in diesem einen Gebiet das Mandat auszuweiten“, sagt Johns.
Beluga führt seit über zwei Wochen telefonische Verhandlungen mit den mit Panzerfäusten und Maschinengewehren bewaffneten Piraten. Was diese genau verlangen, ist geheim, die Besatzung der an der Küste der Provinz Puntlandt festgehaltenen „Trinidad“ ist aber bisher offenbar wohlauf. Dennoch: „Wenn wir jetzt nicht handeln, eskaliert das. Die Aggressivität, der Organisationsgrad und die Bewaffnung der Piraten haben sich so entwickelt, dass wir mit dem Schlimmsten rechnen müssen“, sagt Reeder Stolberg.
Das Verteidigungsministerium will sich seinen Forderungen nicht verschließen. „Die EU prüft derzeit auf Basis einer UNO-Resolution eine Mission zur Abwehr der Piraterie vor Somalia“, sagt Sprecher Dietrich Jensch. Bei einer solchen Truppe sollen auch Deutsche mitmischen. Wenn der Bundestag zustimmt, sei mit dem Einsatz deutscher Marinesoldaten schon im Dezember zu rechnen.
Dass Stolberg sich einen Kalkhügel in den Antillen als Heimat seines Schiffes ausgesucht hat, hat einen einfachen Grund. Der Charterer der „Trinidad“, die Leeraner „BBC Logistics“ hat zwar einen Tarifvertrag mit der Besatzung geschlossen. Doch dieser ist nach Ver.di-Angaben für das Unternehmen weitaus günstiger als das Salär sozialversicherungspflichtiger deutscher Seeleute. „Beluga“ und „BBC“ sind keineswegs ein Einzelfall. Rund 3.000 deutsche Frachtschiffe fahren laut Ver.di unter Billigflagge – etwa 900 davon unter der von Antigua. Das ist der bei weitem größte Teil der 1.100 Frachter umfassenden Handelsmarine des Karibikeilands. Der kleine Inselstaat unterhält deshalb gar ein eigenes Schiffsregister in Oldenburg.
„Die Regierung von Antigua steht in ständigem Kontakt mit der Reederei“, sagt dessen „Deputy Registrar“ Martin Liestmann. Der antiguanische Außenminister – zugleich Schifffahrtsminister – „leitet täglich Informationen an den antiguanischen UNO-Botschafter weiter“. Und der bemühe sich „im diplomatischen Austausch mit der somalischen Regierung, etwas in die Wege zu leiten“, berichtet Liestmann. „Andere Möglichkeiten“, so fürchtet er, „hat man da wohl nicht.“ Einen Teil der 45-köpfigen „Antigua and Barbuda Defence Force Coast Guard“ in den Golf von Aden zu entsenden, ist jedenfalls nicht geplant.