Einmal Immobilienhai spielen

Auf der Veddel betreiben Anita Unterburg und Julia Münz ein fiktives Immobilienbüro – und laden zu einem skurrilen Rundgang durchs Viertel: Verspielt setzen sich die Künstler mit der anstehenden Gentrifzierung des Stadtteils auseinander

Zügig stöckelt sie der Gruppe voraus, durch eine dunkle Unterführung, deren Klinker mit Kürzeln besprüht sind und deren stählerne Decke stark verrostet ist. „Das alles soll so erhalten bleiben“, sagt Wischer.

Von KRISTIANA LUDWIG

Vor dem türkischen Supermarkt beim S-Bahnhof Veddel hat sich ein Grüppchen von Besuchern eingefunden, wie man sie eher selten in dem Hamburger Migrantenstadtteil sieht: Ein älteres Ehepaar, Frauen in modischen Mänteln und hohen Schuhen, eine von ihnen trägt eine Tasche mit aufgenähtem Kuhfell. Sie stehen vor dem Schaufenster eines kleinen Immobilienbüros, das zwischen dem Supermarkt und einem türkischen Restaurant seine Angebote präsentiert. An der Wand hängt ein Infokasten mit Prospekten. „Pro Heft fünf Euro“, ruft ein älterer Mann von den Holzbänken des Restaurants herüber und lacht.

Das „Büro Verborgene Stätte“ wird von der Internationalen Bauausstellung Hamburg (IBA) unterstützt. Doch den Künstlerinnen Julia Münz und Annika Unterburg, beide um die 30, geht es nicht um konkrete Bauvorhaben auf der Elbinsel. Sie wollen Anstöße geben für die Vorstellungen der Besucher. Es ist eine Art Fantasiereise, auf die sie die Teilnehmer eines zweistündigen Rundganges mitnehmen.

Bei den Ortsansässigen stößt die Kunstperformance eher auf Unverständnis. „Die sind hier ganz bodenständig“, sagt Julia Münz. Es gebe Fragen wie: „Wenn es das nicht gibt, warum machst du das?“ Bei der heutigen Führung kommt niemand mit, der auf der Veddel wohnt.

Münz sagt, sie möchte die „Wandelbarkeit der Landschaft“ zeigen, möchte, dass ihre Zuhörer „selber anfangen, Bilder zu entwickeln.“ Zu dem Kontakt mit den Bewohnern der Elbinsel fallen ihr ein paar Anekdoten ein. Wie die „türkischen Teenager“, die vor den Bildern im Büroschaufenster stehen – einer Attrappe ohne Büroraum im Hintergrund: „Ey, welches nimmst du?“, imitiert sie gebrochenes Deutsch: „Baumhaus ist scheiße, fällt alles runter, kaputt.“ Eigentlich müsste man ein Mikro aufstellen, findet sie, um solche Reaktionen festzuhalten. Paare, die stehen bleiben und diskutieren, Mütter, die ihre Kinder warnen: „Die Tanten erzählen dir nur was.“

Verstärkung haben sich Unterberg und Münz mit der Maklerin Claudia Wischer geholt. Die trägt ein enges Kostüm und eine Ledermappe unter dem Arm. Zügig stöckelt sie der Gruppe voraus, durch eine dunkle Unterführung, deren Klinker mit Kürzeln besprüht sind und deren stählerne Decke stark verrostet ist. „Das alles soll so erhalten bleiben“, sagt Wischer. „Das wird fixiert, damit sich daran nichts mehr verändert. Der Rost hier, das sind doch ganz bizarre Formen.“

Dann folgt die Helmausgabe und Wischer, die eigentlich Karoline Berendsohn heißt und Clownin ist, verteilt Schutzhelme an die Teilnehmer. Für die Sicherheit gibt es Helme mit Straßenverzierungen bis hin zu Kopfbedeckungen mit Brücken- oder Gebäudekonstruktionen in Miniaturformat. „Wenn uns hier einer sieht“, sagt ein Herr mit einem hohen Türmchen auf seiner beigen Kappe. „Was hast du denn da auf dem Kopf?“, fragt ihn eine Frau: „Eine Moschee? Ein Minarett?“ „Ich dachte erst, es wäre ein Leuchtturm“, sagt er.

Dann macht sich das bunt behelmte Trüppchen auf den Weg und folgt Maklerin Berendsohn auf einen Spaziergang durch den Hamburger Stadtteil. Die Elbinsel wirkt ausgestorben, es sind keine anderen Fußgänger unterwegs, nur wenige Autos kommen vorbei. Der Gruppe voraus stakst Berendsohn über stillgelegte Bahnschienen, in verlassene Tunnel. Und eröffnet dabei eine imaginäre Welt der Stadtentwicklung. „Hier entsteht Hamburgs erste Uboot-Station“, erklärt sie unter der Erde: „Die UB-1 wird bis zum Jungfernstieg fahren.“ Im Freien führen die Immobilienhändlerinnen ihre Kundschaft zu den Standorten der geplanten Objekte. In einer Trauerweide sei ein kugelrundes Baumhaus als Singlewohnung geplant, im Hafenbecken eine gläserne „Gezeitenvilla“, die nur bei Ebbe auftauche. Ihr Rohbau sei schon vorhanden, jedoch gerade versunken.

Das günstige Parzellenwohnen im Parkhaus, der fliegende Bauwagen oder die Performance der Clownin bringen zusätzliche Lacher: Im schicken Kostüm robbt Berendsohn schon mal auf dem Bauch über eine Leitplanke.

Deutlich geht es ums Amusement: An jedem Schauplatz nennt die Maklerin Preis und Zielgruppe, ihre Assistentinnen zeigen Bilder von Fotomontagen der Gebäude. Und die Zuschauer spielen eifrig mit. Mit ernster Miene stellt eine Frau in violett glänzender Jeansjacke Fragen zur Abwasserregelung im Baumhaus, um sich nach Berendsohns Ausführungen über Stahlverstrebungen im Holz grinsend zu ihren Freundinnen zu wenden.

So könnte man bei dem Spaß, den das Grüppchen sichtlich genießt, fast vergessen, dass der Kunstperformance auch ein ernstes Anliegen eignet: Münz und Unterberg karikieren mit ihrer fiktiven Immobilienagentur Stadtentwicklungsprogramme und Unternehmertum. Mit einem lachenden und einen weinenden Augen kommentieren sie die anstehende Gentrifizierung des Stadteils Veddel.

Touren am 14., 21.09. und 28.09.2008. Jeweils um 15 Uhr (bis ca. 17 Uhr), Eintritt frei,Treffpunkt zu den Führungen: BVS-Büro Verborgene Stätte, Wilhelmsburger Platz 13