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Archiv-Artikel

Ambition zum großen Gleichnis

Peter Stein inszeniert am Berliner Ensemble Heinrich von Kleists „Der zerbrochne Krug“. Klaus Maria Brandauers Adam trägt nahezu Amstettener Züge, und doch kommt er gegen den Hang zum pittoresken Detail schwer an

Am Anfang ist auf den Eisernen Vorhang der Kupferstich projiziert, der Heinrich von Kleist zu seiner bitteren Komödie „Der zerbrochne Krug“ inspirierte. Peter Stein vollzieht den Kleist’schen Schöpfungsakt gleich in der ersten Szene nach: Der Vorhang hebt sich, das Bild bleibt auf die Szenerie projiziert, die ihrem Vorbild bis in Details der Raumaufteilung gleicht, und wo der alte Stich alsbald dramatische Gestalt annehmen wird.

Allerdings sind es zunächst zwölf lebende Hühner, die hier für Bewegung sorgen. Da ist er dann wieder, Steins Hang zum altmeisterlichen Tableau, das immer auch ein Hauch Museumsdorf durchweht. Und das Missverständnis, dass etwas lebt, bloß weil es sich bewegt: ein nach Manier niederländischer Meister ausgeleuchteter Raum, Fenster mit grünen Butzenscheiben, durch die manchmal Winternebel dringen. Auch die beiden Mägde, die nun die Hühner aus der Amtstube des Richters jagen, sehen aus, als seien sie Gemälden Jan Vermeers entstiegen.

Sobald Dorfrichter Adam erscheint, ist es aus mit der Gemütlichkeit: ein Koloss, der rücksichtlose Lebensgier ausstrahlt. Klaffende Wunden auf dem kahlen Kopf, eine hinkende, ungepflegte Erscheinung in schmuddeliger Unterwäsche. Später trägt er eine Richterrobe. Es ist Gerichtstag. Doch mag er auf seinem thronartigen Stuhl lange nicht Platz nehmen, den er wie ein drohendes Verhängnis umschleicht. Schließlich weiß er, dass er selbst der Täter ist.

Klaus Maria Brandauers Adam trägt nahezu Amstettener Züge: Wie er sich brutal die junge Eve (Marina Senckel) greift, um sich sofort wieder unterwürfig-jovial Gerichtsrat Walter zuzuwenden, der die Zustände der Justiz auf dem Land überprüfen soll. Martin Seifert ist als distinguiert-verklemmter Gerichtsrat Brandauers souveränes Gegenstück. Doch sind die Schauspieler viel zu groß für diese Inszenierung, die ihre Energie ins Ausmalen pittoresker Details steckt, aber kaum je zum existenziellen Kern des Dramas vordringt.

Hier tuscheln im Hintergrund Mägde (Ninja Stangenberg und Larissa Fuchs). Da schnarcht unterm Dreispitz der Gerichtsdiener (Stefan Schäfer).Vorn auf einer Bank barmt Eve (Marina Senckel), die die Wahrheit nicht sagen darf, weil sie sonst um das Leben ihres Liebsten fürchten muss. Daneben rollt ebendieser Ruprecht (Roman Kanonik) zornig mit den Augen, der sich von Eve betrogen wähnt. Geifernd gestikuliert Eves Mutter Marthe (Tina Engel), die hier klären lassen will, wer zu später Stunde den Krug im Zimmer ihrer Tochter zerbrach. Am Ende sorgt die zirpende Zeugin Frau Brigitte (Ilse Ritter) für Erhellung des Falls und sein Happy End. Die dem Kupferstich nachgestellten Kulissen verschwinden wie von Geisterhand und man blickt auf ein kahles, winterliches Schneefeld. Der hinkende Adam stapft darin und strauchelt. Die Gesellschaft verfolgt ihn. Aber nicht um ihn zu richten, sondern wieder aufzurichten: an einem Stahlseil aus dem Bühnenhimmel. So viel Werkzeug braucht es wohl, um einen gefallenen Koloss wie Brandauers Adam zu stemmen. Dabei wird Hölderlins spätes Gedicht „Die Linien des Lebens sind verschieden“ gesungen, und man spürt Ambition zum großen Gleichnis. Nur versteht man nicht wirklich, welches. ESTHER SLEVOGT

Nächste Vorstellungen: 15., 16., 28. 9.