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Archiv-Artikel

Von Mensch-Maschinen

Ästhetisierte Apokalypsen, doch sehr viel philosophischer als gemeinhin angenommen: Mit der kleinen Filmreihe56 „Mangas in Motion“ begleitet das 3001 im Januar die Ausstellung japanischer Comics in den Deichtorhallen

von VOLKER HUMMEL

„Akira ist – die totale Energie.“ Eine genauere Erklärung wird man im Verlauf von Katsuhiro Otomos Anime-Meisterwerk nicht zu hören bekommen. Akira ist nicht in Worte zu fassen, unkontrollierbar, zerstörerisch und erschaffend zugleich. Das Monströse und Inhumane, und zugleich die letzte Hoffnung der Menschheit. Akira ist – die gewaltigste filmische Darstellung der Apokalypse in der Geschichte des Kinos.

Transformative Energie: Will man sich dem längst global gewordenen Phänomen der Anime, der japanischen Zeichentrickfilme, erklärend annähern, liefert diese diffuse Formel vielleicht den besten Einstieg. Akira bietet von Anfang an einen Überschuss an Kinetik: Vor dem Hintergrund einer dystopischen Megacity, in der blutige Kämpfe zwischen Studenten und Militär wüten, liefern sich rivalisierende Gangs Motorrad-Duelle. Wie die Rebellen vieler Teen-Dramen suchen sie nach dem letzten Kick abseits einer sozial erstarrten Erwachsenen-Welt. Als Versuchskaninchen militärischer Experimente mutiert das Bandenmitglied Tetsuo schließlich zur übermächtigen Nemesis von Neu-Tokio.

Dass Akira zu einem großen Erfolg nicht nur in Japan, sondern auch im Westen wurde, mag viel mit seiner universalen Mär von der Rache des ohnmächtigen Jungen zu tun haben. Was ihn jedoch bis heute nicht nur aus dem Anime-, sondern dem gesamten Science-Fiction-Genre heraushebt, ist der schiere visuelle Overkill der letzten Dreiviertelstunde. Der Maßlosigkeit von Tetsuos Rache korrespondiert eine neuartige Ästhetik explodierender Formen, körperlicher Metamorphosen und in wunderschöne Farben getauchter Zerstörungen, wie sie bis dahin im Medium der bewegten Bilder nicht zu sehen waren.

Akira war die Eintrittskarte für die japanische Animationsindustrie in den globalen Filmmarkt, gleichzeitig prägte er nachhaltig ein einseitiges Bild von adoleszenten Zerstörungsfantasien. Tatsächlich geht es bei den in den Anime freigesetzen Energien oftmals um die Transformationen des jugendlichen Körpers, doch in einem viel universaleren Sinne geht es um Probleme menschlicher Identität, wie Mamoru Oshiis Ghost in the Shell (1995) zeigt.

Oshiis Heldin Kusanagi ist ein Cyborg, der im Auftrag der Regierung Attentate ausführt. Sie arbeitet für eine Geheimdienstabteilung, die dem mysteriösen „Puppet Master“ auf der Spur ist, der sich direkt in die Hirne von hohen Regierungsbeamten hineinhacken kann. Atemberaubende Actionsequenzen wechseln bei Oshii immer wieder mit eher lyrischen und philosophischen Passagen ab, in denen sich die Mensch-Maschine Kusanagi über ihr eigenes Wesen klar zu werden versucht.

Dass Anime ein zu vielfältigen Wandlungen fähiges Medium ist, zeigt Satoshi Kons Perfect Blue (1997). Kon, ein Schüler von Otomo, nutzt das Genre des Psychothrillers zu einer selbstreflexiven Untersuchung des Phänomens der Otaku, wie in Japan begeisterte Fans genannt werden. Im Zentrum der Handlung steht die Popsängerin Mima, deren Wechsel in die Filmbranche von einem zunehmenden Identitätsverlust begleitet ist. Mimas Manager benutzen sie wie eine Marionette, im Internet kursieren intimste Informationen über sie, und ein verrückter Killer scheint es auf sie abgesehen zu haben.

Rintaros Robotic Angel (2000) schließlich verzichtet wie sein filmisches Vorbild Metropolis auf psychologische Finessen und Identitätsprobleme, um sich ganz auf die transformativen Energien des Mediums Anime zu konzentrieren. Wie immer geht‘s ums Ganze in einer Megacity der Zukunft, wie bei Fritz Lang ist der Schlüssel zur vollkommenen Macht eine künstliche Frau. Und wenn am Ende Ray Charles‘ „I Can‘t Stop Loving You“ über den Trümmern einer zerstörten Welt erklingt, heißt es wieder einmal: „Es hat begonnen.“

Akira: täglich bis 8.1., 15.45 Uhr (Sa + So, 14.45 Uhr), ; Robotic Angel: täglich bis 8.1., 22.30 Uhr, 9.–15.1., 16 Uhr; Ghost in the Shell: 16.–22.1., 16 Uhr, Perfect Blue: 23.–29.1., 16 Uhr (Sa + So, 15 Uhr), 3001