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Archiv-Artikel

Netz von Verknüpfungen

Der Hamburger Bahnhof in Berlin zeigt eine große Werkschau der streitbaren Künstlerin Ayse Erkmen. Die Konzeptualistin bahnt sich dabei einen Weg von außen nach innen

VON MARCUS WOELLER

Einen ihrer größten Coups landete Ayse Erkmen vor elf Jahren in Münster. Anlässlich der alle zehn Jahre stattfindenden Schau „Skulptur. Projekte“ hatte sie sich 1997 mit dem schwersten und mächtigsten Gegner angelegt, der in der westfälischen Provinz zu finden ist: der katholischen Kirche. Sie wollte den Dom zu Münster zum Ort ihrer künstlerischen Intervention machen. Doch weder das Rosettenfenster über dem Hauptportal durfte sie für die Dauer der Ausstellung in ein großes Ziffernblatt verwandeln noch auf dem Domplatz eine Allee zum Seiteneingang anlegen. Erkmen gab damals nicht auf und schlug das Domkapitel mit seinen eigenen Waffen.

Denn das von der Kirchenverwaltung mit allem Nachdruck verteidigte Hoheitsrecht über Kathedralbau und umliegenden Stadtplatz endete vertikal bei einer bestimmten Höhe über der Kirchturmspitze. Durch diese luftige Herrschaftsfreiheit ließ Erkmen ein Dutzend jahrhundertealter Steinskulpturen schweben. Ein Helikopter transportierte die Leihgaben aus dem Westfälischen Landesmuseum über den Dom hinweg zum Dach des direkt gegenüber stehenden Museums und setzte sie dort ab. Wie steinerne Zeugen dieser lakonischen Demonstration von Hartnäckigkeit und Schlitzohrigkeit gegenüber der vermeintlich höheren Macht blickten sie zum Dom hinüber.

Limboartig wegtauchen

„Sculptures on the Air“ verdeutlicht Erkmens Herangehensweise an die Kunst. Stets lotet sie die Besonderheiten des Orts aus. Die Neue Nationalgalerie Berlin richtet der türkischen Künstlerin nun eine Retrospektive im Hamburger Bahnhof aus und gerät damit beinahe an die Grenzen des Möglichen. Erkmens Werk widersetzt sich nämlich der einfachen Ausstellbarkeit von Kunst – die ein Museum von seinem Grundverständnis her natürlich voraussetzen muss – gerade durch diese Ortsspezifizität. Die Künstlerin und die beiden Kuratorinnen Britta Schmitz und Bettina Schaschke versuchen diesen Widerspruch dennoch zu lösen.

Erkmen präsentiert ausgewählte Arbeiten als „Weggefährten“ – als Begleiter, die sich mit der Zeit mal mehr, mal weniger verändern, dabei aber ihren Charakter bewahren. 1993 kam Erkmen auf Einladung des Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) nach Berlin. In der damaligen Galerie des DAAD zeigte sie die Ausstellung „Das Haus/Ev/The House“, für die sie lediglich die Deckenbeleuchtung abmontierte, neu verkabelte und die sich so selbst ausstellenden Leuchtstoffröhren auf Brusthöhe im Raum hängen ließ. Im Hamburger Bahnhof bot sich nun die Gelegenheit, ein Remake dieses Werks zu installieren, das nicht nur Selbstzitat ist, sondern in vielfältiger Beziehung auch auf den neuen Ort eingeht. Wieder löste sie die Deckenlampen aus ihrer Verankerung, holte sie unter der Milchglasverkleidung hervor und ordnete sie zu einem horizontalen Neonlabyrinth, durch dass die Besucher ihren Weg suchen müssen, wenn sie nicht limboartig unter ihnen hinwegtauchen wollen. Gleichzeitig reagiert die 1949 in Istanbul geborene Künstlerin auf den US-amerikanischen Künstler Dan Flavin, der mit seinen Leuchtstoffröhrenobjekten die Sammlungen im Hamburger Bahnhof prägt und mit einem Auftragswerk auch die Schaufassade illuminiert.

Blinkende Warnleuchten

Räume, die sich selbst ausstellen, sind das Markenzeichen von Ayse Erkmen, die mit fast allen Medien arbeitet. Etwa die Installation einer fahrbaren Wand. 1999 hatte Erkmen „9’45’’“ im Fridericianum Kassel gezeigt, nun wendet sie das Prinzip erneut an. Fast unmerklich bewegt sich die mechanisch gesteuerte Wand vor und zurück. Je nach Raumsituation kann das bedrohlich oder verwirrend wirken. Es ist das Ziel der Künstlerin, diese Wahrnehmung auf den Raum an sich zu lenken, der sonst nur übersehene Hülle ist. Deshalb müssen die Gäste gleich zum Einstieg in die Ausstellung durch die enge Schleuse eines Metalldetektors. Anders als am Flughafen bleiben Schlüssel, Handy und Kleingeld in den Taschen. Also schrillt der Alarm und blinken die Warnleuchten bei jedem Durchschreiten dieses Tors. „Portiport“ hatte Erkmen zuerst im Frankfurter Portikus gezeigt, wo sie sieben solcher Detektoren zwischen die Säulen der klassizistischen Fassade stellte.

Die Ausstellungshistorie der Werke und ihre Veränderung dokumentieren die Kuratorinnen in dem hervorragenden Katalog. Dieser Wandel von Darstellung und Wahrnehmung ist charakteristisch für Erkmen und spiegelt auch ihren Migrationshintergrund. Die orale Überlieferung, das Erzählen von Geschichten und die damit unweigerlich passierende Veränderung der Schilderungen haben in der türkischen Kultur eine größere Tradition, schreibt Schmitz im Katalog über die Recherchen, die Erkmens Werk zugrunde liegen. Sie „dekonstruiert nicht, sie sucht das Verbindende, stellt Verknüpfungen von Dingen und Orten her und erforscht die Idee der Verbindung selbst. Das bestimmt leitmotivisch ihr gesamtes Werk.“ Dieses Netz von Verknüpfungen zeigt sich etwa an einer Arbeit, die an der Fassade eines Hauses in Kreuzberg angebracht ist. Am Heinrichplatz an der Oranienstraße, also im Epizentrum türkischen Lebens in Berlin, existiert seit 1994 die Fassadeninstallation „Am Haus“. In schwarzen Plexiglaslettern sind dort 40 differenzierte Endungen verschiedener türkischer Vergangenheitsformen angebracht, die nicht nur semantisch, sondern auch grammatikalisch auf diese narrative Tradition verweisen und damit auch ermahnen, sie zu pflegen.

In eben diesem Sinne ist die Ausstellung „Weggefährten“ auch keine klassische Retrospektive, die mit den Arbeiten einer Künstlerin sozusagen vorläufig abschließt, sondern die Aufforderung Ayse Erkmens Werk wieder neu zu entdecken und neugierig darauf zu machen, wie der Weg weitergeht.

Ayse Erkmen: „Weggefährten“. Hamburger Bahnhof – Museum für Gegenwart, Berlin, bis 11. Januar 2009. Katalog bei Verlag Walther König, 20 €