über das protestantinnenpiepsen von WIGLAF DROSTE
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Die Luft im Café war voller Gezwitscher. Es tschilpte und pfiff mir in die Ohren hinein, aufgeregt und schrill. Was war los? Hatte der Besitzer eine Voliere angeschafft? Gab Dr. Markus Merk ein Schiedsrichterseminar? Ich entdeckte die hochfrequenzige Lärmquelle in einer Ecke des Lokals. Drei Frauen singvogelten durcheinander; unwillkürlich erwog ich, in Zukunft schwunghaften Handel mit Sonnenblumenkernen zu treiben. Die drei trillerten und quietschten hektisch drauflos. Was sie mir zu hören gaben, war die grausame, traurige Stimme des Protestantismus: das Protestantinnenpiepsen.

Die Piepsprotestantin tritt den Beweis an, dass man kehlkopfabwärts nicht existieren muss, um dennoch akustisch äußerst präsent zu sein. Ob die Piepsprotestantin kehlkopfaufwärts existiert, ist nicht zu sagen, weil ihr diskantisches Gepfeife jede inhaltistisch orientierte Wahrnehmung unterbindet. Eine ganze Frau, eingesperrt in Hals und Kehle: pieps pieps pieps. Es ist der Sound von Verdrängung und Verzicht. Manchmal ist als Nebengeräusch ein verzweifeltes Flattern zu vernehmen.

Wenn das Protestantinnenpiepsen naht, ist das Leben unendlich fern. Betrübnis fällt den Zuhörer an. So viel Ungelebtes will sich artikulieren, und dann sagt es wieder nur: pieps. Pein mischt sich in das Gefühl des Bedauerns, veritable Ohrenqual, denn Protestantinnenpiepsen tut richtig weh, und Oropax oder direkt die Finger in die Ohren stecken wirkt so unhöflich. Wer glaubte schon einem Mann, der sich die Ohren verstöpselt, um seine Trommelfellchen vor dem Terror des Protestantinnenpiepsens zu schützen, dass er sich nicht aus sprechinhaltlichen Gründen verkorkt, sondern nur wegen des nadelstichelnden, tinitusartigen Pfeiftons?

Was tun? Prophylaktisch immerzu la la la singen, um die aus Protestantinnen herausfiepende Tonlage des nicht stattfindenden Lebens zu übertönen? Keine gute Idee, es sei denn, man wäre scharf auf eine Zelle mit Gummitwist. Soll man Handzettel verteilen: Frauen, bitte nicht fiepsen und nicht protestantisch piepsen, sonst können wir euch nicht liepsen …? Nein nein nein. Und ebenso wenig ist der Piepsprotestantin mit einem Buch gedient, das der treuherzig-fusslige Wolfgang Thierse schrieb: „Mit eigener Stimme sprechen“. Denn in der Wolfgang-Thierse-Maus ist Protestantismus sehr zu Haus. Manche Piepsprotestantin greift zur Selbsthilfe und beginnt, TV- und Radiomoderatorinnen nachzuäffen, die mit penetrierender Ich-bin-immer-feucht-Stimme für Ohrenzwang ganz anderer Art sorgen. Bitte nicht tun – die berufsmäßigen Hier-kommt-der-Sex-Blinker sind schon Pest genug. Sogar noch niederprügelnder sind Anrufbeantworter, die von ihren Besitzerinnen mit tiefer gelegtem, nuttentimbrigem „Hallooo …“ vollgepörkelt wurden. Das Geröchel der Nullhundertneunzigersorte Mensch ist keine Alternative zum Protestantinnenpiepsen.

Wie gern hörten wir sie freundlich und langmütig an, die Dramen der halswärts abgeklemmten Damen – wenn man sie nur in eine andere Tonlage transponieren könnte.