Madrid behindert „Prestige“-Untersuchung

Ein Ermittlungsausschuss in Galicien darf keine Regierungsbeamte zum Unfall des Tankers befragen

MADRID taz ■ Das galicische Regionalparlament in Santiago de Compostela untersucht seit gestern den Unfall des Tankers „Prestige“. Wer wann und warum welche Entscheidung getroffen hat, das würden die Mitglieder des Untersuchungsausschusses gerne wissen. Doch bereits jetzt ist klar, dass sie das nie herausfinden werden. Denn der spanische Regierungschef José María Aznar verweigert den Regionalparlamentariern das Recht, hohe Regierungsbeamte, die während der sechstägigen Irrfahrt der leckgeschlagenen „Prestige“ im Krisenstab saßen, zu befragen. „Sie sind den regionalen Institutionen keine Rechenschaft schuldig“, beschied er kurzerhand. Warum soll auch in Santiago eine Untersuchung unterstützt werden, die seine mit absoluter Mehrheit regierende Volkspartei (PP) bisher im spanischen Parlament in Madrid erfolgreich zu verhindern wusste?

„Es wäre, als würden wir einen Kardinal aus Rom vorladen. Dazu fehlen uns auch die Kompetenzen“, erklärte der galicische Regierungschef und ehemalige Minister unter Diktator Franco, Manuel Fraga, sichtlich erleichtert. Auch er gehört der PP an, und auch er regiert wie sein Ziehsohn Aznar mit absoluter Mehrheit. Dennoch stimmte die PP in Galicien unter dem Druck der Bevölkerung für den Untersuchungsausschuss.

Die Parlamentarier werden sich jetzt unter anderem auf die Aussagen der Hubschrauberpiloten beschränken müssen, die regelmäßige Inspektionsflüge zur „Prestige“ unternahmen. „Die Regierung macht sich über das galicische Volk lustig“, beschwerten sich gestern Vertreter der beiden Oppositionsparteien, der sozialistischen PSOE und dem linken Nationalistenblock (BNG).

Letztere haben auch außerparlamentarisch mit der Regierung in Madrid zu kämpfen. Die PP wirft den Linksnationalisten, die mit knapp 23 Prozent die zweitstärkste Partei Galiciens sind, vor, die Bürgerinitiative „Nunca máis!“ („Nie wieder!“) zu unterwandern. Damit soll die Bewegung, die nur wenige Tage nach dem Untergang der „Prestige“ in Santiago hunderttausende gegen die unzulängliche Regierungspolitik auf die Straße brachten, desavouiert werden. Als Beweis für die Abhängigkeit von den Nationalisten soll die Tatsache herhalten, dass der BNG die Web-Site der Initiative http://www.plataformanuncamais.org angemeldet hat und mehrere Nationalisten im Koordinationsausschuss der Bürgerinitiative sitzen.

Doch damit nicht genug: Aus dem Umfeld der PP werden Stimmen laut, die der Initiative vorwerfen, Spendengelder zu veruntreuen. Ohne jegliche Überprüfung räumt das staatliche Fernsehen TVE diesen Vorwürfen breitesten Raum ein und fragt sogar, in wie fern die Initiative mit Recht und Verfassung konform sei. „Wir haben kein Problem damit, unsere Konten vor dem galicischen Parlament offen zu legen“, erklärte dazu der Sprecher von „Nunca Máis!“, der Vorsitzende der Fischereikooperative von A Coruña, Torcuato Teixeira. „Nunca Máis!“ habe niemals Geld für die Opfer der Ölpest gesammelt, sondern nur für die eigenen Ausgaben, wie Plakate und Flugblätter.

REINER WANDLER