Die gekratzte Ukulele

Spartentrennung beim MIBnight Jazz-Festival: Esoterische Projekte fanden ihr Publikum im dritten Stock des Lagerhauses– der Mainstream füllte die Bel-Etage

Was ist komischer? Wenn Ralf Benesch von der Gruppe „Das Wilde Fest“ Papierschlangen von der Bühne wirft, brachiale Werke mit Titeln wie „Bier auf Wein“ auf seinem Baritonsaxofon bläst und dann das eigene Solo als „Angeberscheiße“ beschimpft? Oder wenn Hainer Wörmann, Wolfgang Brodsky und Jürgen Morgenstein mit scheinbar wissenschaftlichem Ernst „die Klangmöglichkeiten der Ukulele untersuchen“, indem sie auf ihren Winzgitarren herumkratzen, -plinken, -sägen, und sie mit Geigenbogen, Stahlbürste oder Taschenventilator bearbeiten?

Beide Auftritte waren eigenwillig, unterhaltsam und fanden ihr Publikum, denn an diesem Wochenende war es voll im Lagerhaus. Und es kam ein erstaunlich junges Publikum zum „MIBnight Jazz Festival“: Das Programm war geschickt und ohne Qualitätseinbußen auf dieses zugeschnitten. Einem lokalen Veteranen wie dem Posaunisten Ed Kröger jedenfalls tat es sicher nicht weh, wenn gleichzeitig zu seinem klassischenAuftritt mit dem Elsner/Kröger-Quartett eine Etage tiefer im zur „Chill-Out-Zone“ erklärten Café DJ Caulfield „minimalistische Elektronik“ fabrizierte. Während die eher esoterischen Projekte wie das Ukulelen-Trio in der dritten Etage stattfanden, konnte man auf der Hauptbühne „mehrheitsfähige“ Bands hören. So den süffigen Souljazz des „Nacht-Express“ mit dem Vibraphonisten Michi Schmidt, dem Saxophonisten Klaus Fey und dem Posaunisten Sven Züllchner.

Aber die Hauptattraktion des Festivals war aus Berlin angereist. Die Sängerin Lisa Bassenge gilt derzeit als die Neuentdeckung des deutschen Jazz. Mit einem publikumswirksamen Programm, das von Standards wie „Caravan“ bis zu „Shake the Disease“ von Depeche Mode ging, wusste sie zu begeistern. Nur manchmal konnte man auch die Anstrengung und den Ehrgeiz spüren, mit denen die Sängerin Vorbildern wie Billie Holiday nacheiferte.

Der Auftritt war gebaut wie ein perfekt gestyltes Produkt: Bassist Paul Kleber und Pianist Andreas Schmidt klangen nicht nur gut, sie sahen auch so aus, als wären sie für die Rolle des coolen Jazzers gecastet worden. Auch am Samstag spielte Bassenge, diesmal mit der Band „Micatone“, und zwar typisch spacigen – so ihre eigene Ankündigung – „Techno-Jazz“. Und auch diesmal: perfektes Styling, funkige Grooves, die Wah-Wah-Gitarre, ein möglichst dreckig gespieltes Fender Rhodes-Piano, der dumpf knarrende Kontrabass, und eine Band, die so smart aussah, dass einem die eher hemdsärmeligen Bremer Musiker direkt ans Herz wachsen konnten.

Wilfried Hippen