Geld ist eine Rachegöttin

Macht Geld die Welt ziviler oder ist es eine Illusion? Dem 12. Philosophicum in Lech kam die Finanzkrise wie gerufen

Die letzten Tage haben es bewiesen: Der Zustand unserer Finanzwelt ist manisch-depressiv. Und sie haben gezeigt, dass Philosophen mitunter besser spekulieren als Finanzexperten. Für eine Tagung zum Thema „Geld. Was die Welt im Innersten zusammenhält?“ hätte der Wiener Philosoph Konrad Paul Liessmann, Initiator und wissenschaftlicher Leiter des Philosophicums in Lech am Arlberg, keinen überzeugenderen Termin aussuchen können als die dritte Septemberwoche.

Die bislang schlimmste Finanzkrise erschütterte die Welt, das Dagobert-Duck-Syndrom offenbarte seine Folgen. Die unsichtbare Hand des Marktes ließ den „unsichtbaren Gott“, wie Shakespeare das Geld nannte, buchstäblich verschwinden. Über Nacht lösten sich ganze Vermögen, ausgedrückt in unfassbaren Milliarden Euro, Dollar, Yen in Nichts auf, während die Banken wenige Tage später von der fühlbaren Kraft des Staates profitierten.

Depression und Manie waren auch deutlich spürbar in der zum Tagungsraum umfunktionierten Lecher Kirche. Beim diesjährigen Philosophicum in Lech musste jeder Referent, egal, ob Wirtschaftswissenschaftler (Hans Christoph Binswanger, Karl-Heinz Brodbeck), Literaturwissenschaftler (Jochen Hörisch), Soziologin (Christina Wimbauer), Ökologin (Margrit Kennedy), Philosoph (Gottfried Gabriel) oder Poet (Michael Köhlmeier), Medientheoretiker (Norbert Bolz) oder Kunsthistoriker (Wolfgang Ullrich), die Finanzkrise erwähnen. Doch mit mehr als einem halben Satz – „wie wir an der derzeitigen Finanzkrise sehen“ – hielt man sich unter den „sehr verehrten Finanzkapitalisten“, wie Stephan Schulmeister, Mitarbeiter des Österreichischen Wirtschaftsforschungsinstituts die Philosophicum-Teilnehmer begrüßte, nicht auf. Man verweilte eher in faustischen Augenblicken, streifte die faszinierende Alchemie des zu Geld gewordenen Goldes, litt und seufzte mit König Midas und sehnte sich schließlich nach der philosophischen Freiheit und reinen Vernunft.

Die Maniker unter den Teilnehmern hielten sich an den Optimismus ausstrahlenden Medientheoretiker Norbert Bolz: „Je mehr Geld die Welt regiert, umso urbaner und ziviler wird sie!“ Die Depressiven unter den Teilnehmern gingen auf ideengeschichtliche Reisen: Mit Aristoteles, Max Weber, Georg Simmel, Karl Marx, Theodor W. Adorno und vielen anderen ließ sich Geldgier als „ekelhafte Krankheit, eine dieser halb-kriminellen, halb-pathologischen Eigenschaften“ (John Maynard Keynes) kritisieren. Was vermag Geld? „Geld ist eine globale Illusion“, ereiferte sich der Volkswirt Brodbeck aus Würzburg, „es gilt nur, solange wir daran glauben.“ Und wie, wenn das Geld trotzdem gilt, weil es genau das ist, was es bewirkt: „Money is what money does“, um es mit den Worten des amerikanischen Ökonomen Francis A. Walker auszudrücken. Ja, dann wohnt ihm zweifelsohne ein Potenzial inne, das immer für eine Überraschung oder Enttäuschung sorgt. Dann ist Geld (im Griechischen „nomisma“) mit der Schicksalsgöttin Nemesis verwandt und ermöglicht oder verunmöglicht Zukunft. Mit Hilfe des Geldes kann man die Zukunft zur Gegenwart oder die Gegenwart zur Zukunft machen. Geld – und das ist die verlässlichste Auskunft des Philosophicums – ist ein Spiel mit der Zeit. Was die Welt im Innersten zusammenhält, blieb allerdings ein Geheimnis. INGEBORG SZÖLLÖSI