: Stimmung getroffen, fast völlig
Die heiß ersehnte Reunion einer der wichtigsten Exponenten der Neuen Deutschen Welle: Die Fehlfarben präsentieren sich am Mittwoch in der Großen Freiheit mit ihrem neuen, kaum gestrigen Album „Knietief im Dispo“
von MICHAEL RUFF
Neulich, als ich mich nichts ahnend von der neuen Fehlfarben-CD beschallen ließ, kam jemand rein und wollte wissen, seit wann ich eigentlich Westernhagen höre. Ob diese Bemerkung nun provokativ oder gar blasphemisch gemeint war oder lediglich purer Unwissenheit entsprang, spielte keine Rolle. Es war jedenfalls energischer Widerspruch vonnöten, denn immerhin handelte es sich um die neue, heiß ersehnte Reunion-CD einer der wichtigsten und respektiertesten Exponenten der vor über zwanzig Jahren losgetretenen Neuen Deutschen Welle. Und als solche waren die beteiligten Musiker immerhin angetreten, den Westernhagens und Lindenbergs hierzulande Paroli zu bieten.
Als die Fehlfarben 1981 mit Monarchie und Alltag herauskamen, hatten sie als Supergruppe der Düsseldorfer Szene bereits einen gut dotierten Plattenvertrag in der Tasche. Auch die heutige Besetzung liest sich noch wie ein Who‘s-Who jener Pioniertage: Peter Hein und Thomas Schwebel begannen bei Mittagspause, Uwe Jahnke spielte einst Gitarre bei S.Y.P.H., Bassist Michael Kemner war Gründungsmitglied von D.A.F., Frank Fenstermacher und Kurt Dahlke wirkten bei Der Plan. Diese Bands mögen längst Geschichte sein, doch ihre aktuelle Wertschätzung kann man in den einschlägigen Internet-Auktionen verfolgen, wo ihre alten Platten regelmäßig Traumergebnisse erzielen.
Warum die Fehlfarben bei all ihrem künstlerischen Potenzial nie in die Riege des Deutschrock-Establishments aufrückten, ist am ehesten damit zu erklären, dass ihr charismatischer Sänger Peter Hein die Band schon nach ersten Anzeichen drohenden Starkults fluchtartig verließ. Gleich nach „Es geht voran“ (eigentlich: „Ein halbes Jahr“) war bei ihm Schluss mit der großen Pop-Karriere, er blieb seinem Büro-Job treu und widmete sich der Musik nur noch in der spärlichen Freizeit.
Erst klopfte Hein Blech bei einer frühen Inkarnation der Krupps, um danach als Halbprofi mit Family Five so lange im Low-Budget-Showbiz zu agieren, bis ihm auch das wieder zu viel wurde – man erinnere nur seinen stockbesoffenen Auftritt seinerzeit in der Großen Freiheit. Für Die Ärzte und Die Toten Hosen war damit der Weg frei.
Knietief im Dispo, so der Titel des neuen Werks, trifft die aktuelle Stimmung im Lande, doch der Trübsinn reicht nicht allzu weit. Zwar machen die (streckenweise allzu) bissigen Songtexte schnell und eindeutig klar, dass die derzeitigen Verhältnisse wenig Grund zur Freude bieten – wie damals zu Punk-Zeiten eben. Die wache Beobachtungsgabe und der kämpferische Aufbruchsgeist aber, den sie auch unter hoffnungslosen Umständen ausstrahlen, ist trotz nostalgischer Komponente heute keineswegs fehl am Platz. Aber es war immer der Trick der Fehlfarben, musikalisch dazu einen denkbar positiven Sound zu erzeugen, der kaum Platz lässt für Tristesse. Von dieser Spannung hat die Band immer gelebt, und dass es ohne die Hein‘sche Präsenz nicht geht, hat sie nach dessen Abgang damals schnell feststellen müssen.
Das geht natürlich nicht ohne Plattitüden und Schwarz-Weiss-Malerei. Hinter jedem „Du“, das in den Songs vorkommt, steht ein mehr oder weniger versteckter Vorwurf, und es scheint viele zu geben, die nicht zu einem besseren Leben beitragen wollen. Auf einen groben Klotz gehört wohl ein grober Keil, aber ganz so konkret wird es nie. „An Bahnhöfen wird nur noch ans Essen gedacht / Die Dealer fahr‘n jetzt Straßenbahn“. Früher war alles nicht besser, aber irgendwie anders? Zynisch ist das nicht, und wenn Zyniker enttäuschte Romantiker sind, ist Hein Romantiker geblieben, mit einer besseren Welt vor dem inneren Auge, die aber nirgends zu finden ist. Diesen Ort, den es nicht gibt, nannten die alten Griechen Utopia.
Aber egal, die Haltung macht‘s, und auch wenn die Musik auf dem neuen Album ganz professionell zwischen weich gespültem Punk („Du Ran Du Ran“), geschliffenem Pop Rock und angesagten Elektro-Hybriden à la Notwist („Der Fremde“) ausgepegelt ist, bleiben die Fehlfarben immer unverwechselbar.
Mi, 21 Uhr, Große Freiheit