: Tatort öffentliche Bücherhalle
In ihrem Entwurf für ein neues Urheberrecht hat die Regierung die Bibliotheken vergessen. Das Gesetz sollte Rechtssicherheit für den Gebrauch von Onlinemedien schaffen, es könnte die öffentliche Ausleihe digitaler Dokumente aber strafbar machen
von DIETMAR KAMMERER
Es gibt Gesetzestexte, die so schön unmissverständlich und glasklar abgefasst sind, dass man glauben möchte, alle weiteren Diskussionen seien entbehrlich. In Artikel 5 des Grundgsetzes zum Beispiel heißt es: „Jeder hat das Recht, sich aus allgemein zugänglichen Quellen ungehindert zu unterrichten.“ Öffentliche und wissenschaftliche Bibliotheken und Archive sorgen dafür, dass dieses Grundrecht auch wahrgenomen werden kann. Doch seit auch das Internet allgemein zugänglich wurde, ist all das, was bisher so klar und einfach schien, kompliziert geworden. Der Regierungsentwurf zur Regelung des Urheberrechts in der Informationsgesellschaft, der im Februar vom Bundestag verabschiedet werden soll, stellt öffentliche Bibliotheken vor schier unlösbare Rechtsprobleme. Gabriele Beger, Vorsitzende der Rechtskommission des Deutschen Bibliotheksverbands (DBV) und Expertin in Fragen des Urheberrechts, sieht die Gesetzesvorlage „so eng geregelt, dass man mit einem Bein immer im Missbrauch stehen“ würde.
Dabei verspricht der Entwurf auch aus Sicht der Bibliotheken durchaus auch einige Verbesserungen gegenüber der jetzigen Rechtslage. Er soll auf europäischer Ebene Normengleichheit schaffen und das Urheberrecht auf den technischen Stand des digitalen Informationszeitalters bringen. Eine der Neuerungen des Entwurfs formuliert das „Recht der öffentlichen Zugänglichmachung“ – gemeint ist das Recht, ein Werk „drahtgebunden oder drahtlos der Öffentlichkeit in einer Weise zugänglich zu machen, dass es Mitgliedern der Öffentlichkeit von Orten und zu Zeiten ihrer Wahl zugänglich ist“. Ausgesprochen wird es nicht, aber gemeint ist damit das Internet mit seiner Flut von Texten, Tönen, Bildern. Gabriele Beger begrüßt die neue Norm als notwendige Anpassung an die Gegebenheiten und Möglichkeiten des Internets, die sich mit den herkömmlichen Arten der Veröffentlichung nur schwer vergleichen lassen.
Datenbank zur Ausleihe
Der Haken jedoch liegt darin, dass auch Bibliotheken zunehmend elektronische Zeitschriften oder Datenbanken in hauseigenen Intranetzen anbieten. Das ist praktisch für die Bibliotheken: Statt die Jahrgänge einer Zeitschrift raumfüllend in Regalen lagern zu müssen, können sie platzsparend auf einer CD-ROM angeboten werden. Das ist vorteilhaft für die Bibliotheksbenutzer: Datenbanken können wesentlich einfacher nach gewünschten Stichworten durchsucht werden. Diese Veröffentlichung von urheberrechtsgeschütztem Material stellt aber natürlich eine „zustimmungspflichtige Handlung“ dar, will heißen: Sie ist nur gegen Lizenzvereinbarung und Gebühren möglich. Und so müssen Bibliotheken bislang für jede angebotene Datenbank die Lizenbedingungen noch einzeln aushandeln. Ausgenommen von der Zustimmungspflicht sind im Gesetzentwurf bislang lediglich Wissenschaft, Forschung und Unterricht, solange sie ein Werk nur einem „begrenzten Kreis von Personen“ zugänglich machen. Eine Dozentin muss also nicht jedes Mal die Autoren um Erlaubnis fragen, wenn sie mit ihren Studenten ein Buch besprechen will. Eine Bezahlung der Rechteinhaber findet allerdings auch in diesen Fällen statt – nur wird sie nicht über eine individuelle Vereinbarung geregelt. Stattdessen übernehmen, nach einem pauschalen System, Verwertungsgesellschaften die Vergütung.
Dieses System auch auf Bibliotheken und deren Benutzer auszudehnen, wünscht sich Gabriele Beger. Andernfalls sieht sie nicht nur „gravierende finanzielle Belastungen“ auf die ohnehin klammen Kassen der öffentlichen Informationsanbieter zukommen. Denn das individuelle Feilschen um Lizenzen führt regelmäßig zu steigenden Kosten, ganz abgesehen davon, dass für die aufwändigen Vertragsverhandlungen ein wachsender Verwaltungsapparat notwendig ist. Das führt auch dazu, dass Bibliotheken manche Zeitschriften aus Kostengründen abbestellen und somit ihr Angebot einschränken müssen.
Deshalb haben die Bibliotheksverbände und die Gesellschaft für Informationswissenschaft bereits im vergangenen Jahr in einer gemeinsamen Erklärung die Bundesregierung aufgefordert, „die Zugänglichmachung von elektronischen Werken in öffentlichen Bibliotheken zum privaten Gebrauch als verbindliche Ausnahmetatbestände zu regeln“. Zu dem Privileg für Wissenschaft, Forschung und Unterricht soll ein Privileg für Bücherhallen hinzutreten. Die EU-Richtlinie, nach der sich die deutsche Gesetzgebung zu richten hat, bietet eine solche Möglichkeit durchaus an – sie ist im vorliegenden Gesetzentwurf nur nicht entsprechend umgesetzt worden. Auch Bibliotheken richten sich schließlich mit ihrem Informationsangebot an einen konkret bestimmbaren Kreis von Berechtigten, ihre Nutzer. Und die anfallenden Tantiemen könnten unproblematisch über Verwertungsgesellschaften abgewickelt werden.
Buchhandel blockiert
„Es ist der Auftrag der Bibliotheken, Medienkompetenz für die Bevölkerung zu entwickeln“, sagt Gabriele Beger. Werde im zu verabschiedenden Gesetzentwurf keine Klarheit geschaffen, würde dieser Auftrag verfehlt, und lediglich ein riesiger bürokratischer Apparat zur Verwaltung der Lizenzen nötig werden. Vielfach müssten Bibliotheken sogar wegen der bloßen Möglichkeit, ungewollt Rechtsbrüche zu begehen, auf Teile ihres elektronischen Angebotes verzichten. „Bibliothekare sind eine ängstliche Klientel“, meint die überhaupt nicht ängstlich wirkende Beger dazu. Mehr Gerechtigkeit würde das auch für die Bibliotheksnutzer bedeuten: Denn für die macht es keinen Unterschied, ob sie die Information, die sie suchen, auf die altmodische Weise auf gedrucktem Papier lesen oder an einem Terminal in den Räumen der Bibliothek.
Nur eine „unbefriedigende Lösung“ nennt der DBV den Gesetzentwurf auch hinsichtlich der fehlenden Regelung des Kopiendirektversands. Der Kopienversand Subito, auf den sich Verleger, der Börsenverein des Buchhandels und Bibliotheken in einem Gesamtvertrag geeinigt haben, soll sicherstellen, dass Zeitschriftenaufsätze oder Buchkapitel auch an Orten erhältlich sind, an denen es keine Bibliothek gibt oder die gewünschten Materialien nicht vorhanden sind. Die elektronische Bestellung ist einfach, schnell und unkompliziert, die angeforderten Dokumente werden per E-Mail, Fax oder als Fotokopie zugesandt.
Digital vorliegende Quellen sind laut Gesamtvertrag davon jedoch ausgenommen. Subito darf also analoge Quellen digitalisieren und verschicken, absurderweise von digitalen Quellen jedoch nicht einmal einen analogen Ausdruck.
In der Begründung zum Gesetzentwurf findet der Kopienversand zwar Erwähnung, eine Klarstellung fordert der DBV aber dahin gehend, dass dafür eine eigene Norm eingefügt werden soll, die die Rechtmäßigkeit feststellt. Das erscheint umso dringlicher, als der Gesamtvertrag aufgrund einer Intervention des Börsenvereins zum 31. 12. 2002 nicht mehr verlängert wurde. Diese Frontstellung zwischen Buchhandel und Bibliotheken ist Beger völlig unverständlich. Schließlich seien die Buchhändler genauso wie die Bibliotheken „Lotsen in der Informationsflut“, die als Mittler aus einer Unmenge von Informationen für ihre Klientel das Beste auswählen. „Oftmals sprechen Bibliothekare auch Empfehlungen für einen Kauf aus“, so Beger weiter.
Auch nach Überzeugung der Deutschen Initiative für Netzwerkinformation e. V. „bevorteilen die neuen Regelungen eindeutig vor allem die Rechteinhaber und die Verwertungsindustrie in ihrem Bestreben, die digitalen Technologien zur Durchsetzung und Maximierung ihrer rein ökonomischen Interessen auszunutzen – und zwar auf Kosten und zu Lasten der grundgesetzlich garantierten Rechte der Allgemeinheit, insbesondere in den Bereichen Bildung und Wissenschaft“.
Die Rechteinhaber – Buchhandel, Verleger, Content-Industrie – pochen auf den grundgesetzlich garantierten Schutz des Eigentums; für die Bibliotheken und ihre Nutzer erinnert Gabriele Beger an dessen ebenso grundgesetzlich verankerte Sozialbindung: Eigentum verpflichtet, und den Rechten der Urheber sind im Namen der Allgemeinheit Schranken aufzuerlegen. Eine Balance zwischen beiden klar formulierten Interessen zu finden muss die Aufgabe des Gesetzgebers sein.