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Archiv-Artikel

Der Wissenschaftler hinter Schröders Irak-Kurs

Der Hamburger Friedensforscher und Politikberater Dieter S. Lutz starb plötzlich an Herzversagen

Professor Dr. Dieter S. Lutz sah die Friedensforschung nicht nur als Wissenschaft und schon gar nicht im Elfenbeinturm, sondern vor allem auch als Politikberatung. Seine Zielgruppen waren die politischen Entscheidungsträger und die sicherheitspolitisch interessierte Öffentlichkeit, darunter die Friedensbewegung.

Der 53-jährige Direktor des Instituts für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Universität Hamburg erlag in der Nacht zum Dienstag völlig überraschend in der Hamburgischen Landesvertretung in Berlin einem Herzversagen. Der SPD-Generalsekretär, Hamburgs SPD-Chef Olaf Scholz, würdigte den Politikwissenschaftler als einen der „profiliertesten Friedensforscher“ und Bindeglied zwischen Friedensforschung und Sozialdemokratie.

Es war Lutz’ Anliegen, friedenswissenschaftliche Erkenntnisse politikfähig zu machen. Für ihn waren Friedensforschung und die klassische Sicherheitspolitik zwei Seiten derselben Medaille, konnten nur gemeinsam weiterentwickelt werden.

Mit dieser Haltung hat Lutz Gesicht und Geschichte des Hamburger Friedensforschungsinstituts wie kein Zweiter geprägt. Seit 1976 arbeitete er dort, zunächst kurz als wissenschaftlicher Referent, dann als stellvertretender Direktor unter dem Gründungsleiter Wolf Graf von Baudissin, danach unter dessen Nachfolger Egon Bahr als geschäftsführender Direktor. Seit 1994 leitete Lutz das Institut selbst.

Für die Friedensforschung in der Bundesrepublik war Lutz eine der prägendsten Figuren, nicht nur wegen seines langjährigen Einflusses auf das Hamburger Institut, sondern auch aufgrund seiner geradezu unglaublichen, schon arbeitswütig zu nennenden wissenschaftlichen und publizistischen Produktivität und wegen seiner zentralen Rolle beim Aufbau der Deutschen Stiftung Friedensforschung.

Als politischer Ratgeber konnte Lutz sehr unbequem werden. Seine Ablehnung der Nachrüstung in den Achtzigerjahren und vor allem seine scharfe Kritik an der deutschen Haltung im Kosovokrieg – sein Vorwurf, dies sei eine Verletzung des Völkerrechts –, hat ihm nicht nur Freunde gemacht. Auch und gerade nicht in der SPD, zu deren unwillkommen-willkommenen sicherheitspolitischen Beratern Lutz seit vielen Jahren zählte. Zeitweilig erlitt das Institut deswegen sogar finanzielle Einbußen. Lutz aber, der immer wusste, dass in Deutschland der Liebesentzug schnell auf dem Fuße folgt, blieb bei seiner Haltung: Politikberatung, die allen taktischen Wendungen der Tagespolitik folgt, taugte seiner Meinung nach nichts.

Dieter S. Lutz konnte und wollte polarisieren. Seine Beharrlichkeit, aber nicht zuletzt auch sein ausgeprägtes Machtbewusstsein trugen dazu bei, dass er immer wieder erreichte, worum es ihm ging: Wirkung erzielen. Der plötzliche Tod seines Leiters trifft das Hamburger Friedensforschungsinstitut unvorbereitet. Dort fragt man sich, was jetzt wird. Das Institut hat in den vergangenen Jahren seine Aktivitäten deutlich ausgeweitet. Zugleich hat es seinen Anteil an Drittmitteln in seinem Budget auf fast zwei Drittel steigern können. Dies gelang nicht zuletzt aufgrund der vielfältigen, oft persönlichen Beziehungen seines Direktors Lutz.

OTFRIED NASSAUER