Jukebox

„Zufällige Änderung der Besetzung.“ Tragödie

Ritter von Ravens Abkunft von einer schwäbischen Wegelagererdynastie manifestiert sich höchstens noch an der aristokratischen Stirn (Mauerwerk durbrechen kann man mit so was) und dem kampfeslustigen Glänzen seiner Augen, wenn es um das letzte Bier geht. Nun aber saßen wir in dieser Küche und schwiegen. Die improvisierte Stereoanlage war mit Guts Pie Earshot gefüttert. „Wait“, die letzte Platte mit Anneke Pohl, deren Stimme und Bühnenpräsenz mindestens die Hälfte der Popularität der Gruppe verantwortete. „Weißt du noch?“, frug von Raven, „Gwendolyn.“. Oh ja, Gwendolyn, seine Versprochene, die, in Leipzig wohnhaft, nicht nur zwischen den Städten zu pendeln pflegte. Bei einem Konzert der GPEs (zufällig in Berlin) lernte sie jemanden kennen, wahrscheinlich zu „Close to Distance“, dem Hit der Band, wie überhaupt die ganze Platte „Wait“ beinahe radiotaugliche ist (für eine punkaffine Band vielleicht nicht das größte Lob, in diesem Falle aber durchaus als Empfehlung gemeint), beinahe deshalb, weil das Cello, neben Pohls Stimme und Präsenz die zweite Hälfte, zwar an Folkrock erinnert, verzerrt aber wieder sehr an die rockigen Wurzeln gemahnt – aber ich schweife ab. Gwendolyn also lernte bei einem GPE-Konzert jemanden kennen, aus Leipzig, wo man sich bald darauf „zufällig“ wiedertraf, bei einem Konzert (Überraschung: Guts Pie Earshot). Ritter von Raven begann an der Welt zu zweifeln, sattelte das Pferd und ritt nach Sachsen, um dort mit Gwendolyn und dem, Sie ahnen es, „zufällig“ in der Küche sitzenden Herrn Lutz ein klärendes Gespräch zu führen. Nach kurzem Gedankenaustausch warf Gwendolyn die beiden „Herren“ (verbürgtes Zitat) hinaus und bedachte sich.

Kurz darauf verließ Anneke Pohl Guts Pie Earshot, inzwischen ist das Quintett zum Duo (Schlagzeug und Cello) geschrumpft, das mit Breakbeats, Verstärkern und ansteckender Partylaune noch die letzten Elektrokids hypnotisieren kann.

Es wird ja gern über die alten Zeiten geredet, wie alles besser war, gerade in der Musik und da gerade bei Musikern, die auch nach dem 27. Lebensjahr noch auf der Bühne stehen. War es nun besser mit Gesang? Es war anders. Ritter von Raven sitzt jetzt mit mir in der Küche – ohne Herrn Lutz und ohne Gwendolyn. Das ist anders. Auch gut. Daniél Kretschmar