: Entdeckungen aus Afrika
Das politische unter den großen deutschen Literaturveranstaltungen: In Berlin tobt mal wieder das Literaturfestival. Bei der Eröffnung verströmte die Schriftstellerin Nancy Huston schon mal Glamour
VON KATHARINA GRANZIN
Das Komma ist weit gereist. Es hockt neben dem Franzosen Gilles Leroy im Gras, wird von Jon Fosse vor die blaue Kulisse eines norwegischen Fjords gehalten oder versteckt sich hinter der Südafrikanerin Henrietta Rose-Innes im Gebüsch. Und auch wenn zweifellos Photoshop am Werke war, so möchte man sich doch gern vorstellen, dass emsige Praktikantinnen mit dem weißen Komma auf rotem Grund, dem Logo des Berliner Literaturfestivals, durch die Welt gereist sind, um die Autoren zusammen mit dem fortsetzungsheischenden Interpunktionszeichen fürs Programmheft zu fotografieren. Denn auch das Praktikantenheer darf dieses Jahr bei der feierlichen Festivaleröffnung wieder mit auf die Bühne. Das ist nur einer der sympathischen Züge dieses Festivals, das auch die große Geste nicht scheut.
Bis zum 5. Oktober wird es in Berlin wieder Literatur aus vielen Winkeln der Erde geben. Ein thematischer Schwerpunkt liegt diesmal auf Afrika. Man habe „bewusst nicht die großen alten Männer“ der afrikanischen Literatur eingeladen, hieß es, sondern auf neue Namen gesetzt – etwa Fatou Diome aus dem Senegal, Binyavanga Wainaina aus Kenia oder Lebogang Mashile aus Südafrika; junge Autorinnen und Autoren, die literarisch bereits erfolgreich sind, doch von denen die meisten noch nicht ins Deutsche übersetzt wurden. Einziger großer alter Mann ist der Exilsomalier Nuruddin Farah, der dann auch gleich nicht nur für eine Lesung, sondern für mehrere Veranstaltungen gebucht wurde. Denn der „Fokus Afrika“ wird ergänzt durch zahlreiche Diskussionsveranstaltungen, die über den Sinn von Entwicklungshilfe, die Zukunft Afrikas im Zeitalter der Globalisierung oder die deutsch-afrikanischen Beziehungen verhandeln.
Bei Durchsicht des Programms scheint diese Sparte im Verhältnis zum Literaturprogramm üppig bestückt, als wolle man sich auf diese Weise der Besonderheit der eigenen Ausrichtung selbst noch einmal nachdrücklich versichern. Jaa, Literaturfestivals mag es viele geben, dies aber ist das politische Literaturfestival. Eher kurz gerät daneben der Blick europäischer Literaten auf Afrika. Liegt das vielleicht daran, dass außer Ilija Trojanow – der gleichfalls mehrere Veranstaltungen bestreitet – noch keiner aus der jüngeren Generation da war? Uwe Timm wird aus seinem vor immerhin schon 30 Jahren erschienenen Roman „Morenga“ lesen, der vom blutig niedergeschlagenen Aufstand der Herero gegen die deutschen Kolonialherren erzählt.
Als dezidiert politisch muss auch eine andere Schwerpunktsetzung des diesjährigen Festivals gesehen werden. Die Veranstalter betonen sehr gern, dass man die Sparte Kinder- und Jugendliteratur deutlich ausgeweitet habe. 10.000 Karten für dieses Programmsegment waren als Frucht intensiver Zusammenarbeit mit Berliner Schulen bereits vor Festivalbeginn verkauft worden. Da gerade die Literatur für Kinder oft sehr von der gegenseitigen Befruchtung von Text und Bild lebt, hat man sich etwas wirklich Innovatives einfallen lassen und erstmalig auch Illustratoren eingeladen. Unter anderem gibt Altmeister Wolf Erlbruch, der seit vielen Jahren keinen Fuß mehr in die Hauptstadt gesetzt haben soll, Berlin die Ehre. Die Anwesenheit ausländischer Illustratoren wiederum ist umso wichtiger, als das kindliche Publikum die vorgestellte Literatur in den allermeisten Fällen ja nicht im Original wird lesen können. Natürlich wurde vieles für den Anlass eigens übersetzt, was aber noch keine Buchform gefunden hat. Und sogar das von der deutschen Kritik enthusiastisch begrüßte Abenteuerbuch „Tobie Lolness“ des Franzosen Timothée de Fombelle, der aus seinen „Lolness“-Romanen (der zweite ist noch nicht übersetzt) lesen wird, ist – zumindest am Eröffnungsabend – am Büchertisch im Haus der Festspiele nur auf Französisch zu bekommen.
Angesichts der gesellschaftsverändernden Ambitionen des Festivals geriet die Eröffnungsrede der in Frankreich lebenden Kanadierin Nancy Huston, die um die Frage kreiste, wozu Literatur überhaupt gut sei, eher recht allgemein. In der Kühnheit der Geste aber passte sie gut in diesen Kontext, wenn Huston sich traute, die These zu vertreten, Literatur könne kraft „narrativer Empathie“ bessere Menschen aus uns machen. Es gelte aber, bewusst „gute“ Fiktion (Literatur) von „schlechter“ (Vorurteile, tradierte Feindbilder) unterscheiden zu lernen. Das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, das sich nicht als Wahrheit maskiere, sondern in offen fiktionaler Form vom wohlwollenden Umgang mit dem Fremden spreche, nennt Huston als zentrales Beispiel „guter“ Fiktion. Um die Risiken eines solchen naiv anmutenden Pathos wissend, das die Grundfunktion von Literatur auf ein narratives Lehrstück zurückführt, verwandte Huston viel rhetorische Sorgfalt darauf, ihre eigene These zwar variationsreich zu relativieren, um letztlich doch daran festzuhalten.
Immerhin musste man dieser These nicht bedingungslos folgen, um die rhetorische Eloquenz und die glänzende Darbietung des Vortrags goutieren zu können. Für eine Schriftstellerin verfügt nämlich Nancy Huston über eine geradezu unheimliche Bühnenpräsenz und brachte damit in den Eröffnungsabend etwas ein, das jeden Festivalleiter glücklich machen muss: Glamour. Wozu Literatur gut ist, kann dann ja jeder für sich selbst feststellen. Ob in den nächsten zwei Wochen in Berlin oder anderswo.
Programm unter: www.literaturfestival.com