: Aznar will das spanische Strafrecht verschärfen
Nach der Ölpest in Galicien will der konservative Regierungschef im Wahlkampf punkten. Das Land hat jetzt schon die höchste Häftlingsquote der EU
MADRID taz ■ Spaniens Regierungschef José María Aznar hat sein Wahlkampfthema gefunden. Er verspricht „die größte Offensive der letzten Jahre gegen die Kriminalität“. Der Konservative hofft, mit dieser Politik vier Monate vor den Regional- und Kommunalwahlen die fehlende Koordination bei der Bekämpfung der Ölpest in Galicien vergessen zu machen und verlorene Sympathien für seinen Volkspartei (PP) zurückzugewinnen.
Künftig sollen für Verbrechen im Zusammenhang mit der baskischen Separatistenorganisation ETA Höchststrafen von bis zu 40 Jahren statt bisher 30 möglich sein. Eine vorzeitige Entlassung wird nur noch gewährt, wenn der Gefangene mit der Justiz zusammenarbeitet und die Opfer seiner Tat entschädigt.
Auch den Kleinkriminellen will Aznar zu Leibe rücken. In den letzten zehn Jahren stiegen Raub und Überfälle auf offener Straße um 40 Prozent. Alleine 2002 nahm diese Art von Kriminalität um zehn Prozent zu. In manchen Tourismusregionen verdoppelte sich die Ziffer gar. Wer bisher unter 300 Euro erbeutete und das Opfer dabei nicht verletzte, machte sich nur einer Ordnungswidrigkeit schuldig. Haftstrafen gibt es auch für Wiederholungstäter nicht. Das soll sich jetzt ändern. Vier angesammelte Ordnungswidrigkeiten werden als Straftat gewertet. Die Gerichtsverfahren sollen beschleunigt werden. Ein Dieb soll künftig höchstens 30 Tage auf das Urteil warten. Die Regierung will 30 neue Gerichte und 49 Staatsanwaltschaften gründen.
Die Gesetzesreform sieht auch eine Beschleunigung der Abschiebung von ausländischen Kleinkriminellen ohne gültige Aufenthaltsgenehmigung vor. Bisher konnten sie erst nach einem Gerichtsverfahren und verbüßter Strafe abgeschoben werden. Da U-Haft bei minderschwerem Diebstahl nicht vorgesehen ist und die Gerichtsverfahren auf sich warten ließen, nutzen viele „sin papeles“ die Wartezeit für neue Delikte. Einmal verurteilt, harrten sie ständig auf ein weiteres Verfahren. Diese Methode ersetzte für viele Taschendiebe die Aufenthaltsgenehmigung. Laut Innenministerium sollen bis zu 70 Prozent der Kleinkriminalität auf das Konto illegaler Einwanderer gehen.
Auch den Schleppermafias wollen die Konservativen auf den Leib rücken. Die Strafe für Menschenschmuggel wird von drei auf acht Jahre erhöht. Falls die Eingeschleusten für Prostitution ins Land geholt wurden, kann der Schlepper für zehn Jahre hinter Gitter wandern.
„Die Kriminalität hat zugenommen, da die Täter in bestimmten Fällen mit einer Art Straffreiheit rechnen konnten“, greift Aznar das gültige spanische Strafrecht an. Das liberale Gesetzeswerk wurde 1995 von den Sozialisten in deren letzter Amtszeit eingeführt. Die Opposition sieht die Ursache allerdings nicht nur in den gültigen Gesetzen. „Aznar ist mit seiner Politik ganz direkt für diese Entwicklung verantwortlich“, erklärt Oppositionsführer José Luis Rodríguez Zapatero. Im Zeichen eines ausgeglichenen Haushaltes sei in den letzten Jahren immer weniger in die Polizei investiert worden.
Die Zahlen bestätigen dies: Seit dem Amtsantritt Aznars 1996 wurden 7.000 Stellen bei der Polizei abgebaut. In der Drei-Millionen-Stadt Madrid sind nachts nur knapp 300 Beamte im Einsatz. Zwei Drittel davon im Innendienst. Die Gewerkschaften fordern 12.000 neue Beamte.
Auch im Strafvollzug fehlt es an Geldern. Spanien hat mit 52.000 Inhaftierten bei 40 Millionen Einwohnern die höchste Häftlingsquote der EU. Viele Haftanstalten sind überfüllt. Die Strafrechtsreform wird dies noch verschärfen. Dennoch bleibt Aznar bisher einen Investitionsplan, der die Reform begleitet, schuldig. REINER WANDLER