Heu, Holzschuh und Hubschrauber

„Das Erbe der Bergler“ von Erich Langjahr zeigt nichts mehr als eine Heuernte

Nein, als alternative Energiequelle rechnet sich das Wildheu, das im Schweizer Kanton Schwyz auf den steilen Berghängen immer noch auf traditionelle Art und Weise abgeerntet wird, weiß Gott nicht mehr. Ein 88 Jahre alter Bauer, der seit seiner Kindheit bei dieser Grasmahd mitmacht, wird extra mit dem Hubschrauber der Alpenwacht hinaufgeflogen, weil er den steilen Aufstieg nicht mehr schafft, aber unbedingt noch einmal dabei sein will. Es ist also eher ein Ritual als eine wirtschaftlich sinnvolle Tätigkeit, was der Schweizer Filmemacher Erich Langjahr in “Das Erbe der Bergler“ dokumentiert. Früher war die Wildheuer dagegen ein wichtiges Privileg für die armen Bewohner des Muotatals. Wer welche Wiese abmähen durfte, entschied das Los, und mit dem Heu kamen sie unten im Tal besser durch den Winter. Das Wenige, was sie nicht selber verbrauchten, verkauften sie, und so konnten sie sich „Brot, Käse und Kartoffeln“ leisten.

So erinnert sich einer der alten Bergler, aber ansonsten wird nicht viel gesagt in diesem Film. Die Bergbauern sind schon von sich aus eher einsilbig, und Langjahr hat in den dreißig Jahren, in denen er Dokumentarfilme dreht, die oft im bäuerlichen Milieu seiner schweizerischen Heimat angesiedelt sind, wohl aus dieser Not eine Tugend gemacht. In „Das Erbe der Bergler“ können locker 20 Minuten vergehen, ohne dass ein Wort gesprochen wird. Am Anfang gibt noch eine Erzählstimme für die nötigsten Informationen, aber schon bald erzählt Langjahr fast ausschließlich mit seinen Bildern. Und dabei lässt er sich Zeit. So kommt es einem fast so vor, als würde einer der Männer seine Griff-Holzschuhe, die an den extrem schrägen Hängen unerlässlich sind, in Echtzeit aus einem Holzklotz fräsen und dann mit glühenden Hufeisen beschlagen. Auch das Schärfen und Einrichten einer Sense, die Mahd selber und schließlich die rasante Talfahrt der großen Heuballen auf einer rudimentären Seilbahn ins Tal hinein werden in langen, ja man kann ruhig sagen kontemplativen Einstellungen präsentiert. Wie ungewöhnlich für das Kino, wenn hier einmal nichts Weltbewegenden passiert, keine Konflikte oder menschliche Dramen inszeniert werden und der Zuschauer statt dessen eingeladen wird, einer Handvoll von Männern bei ihrer Arbeit zuzusehen.

Und noch ungewöhnlicher ist es, dass einem die 97 Minuten des Films nie lang werden. Natürlich schadet es dabei nicht, dass die Bauern in einer Alpenlandschaft ihr Gras mähen, und sich im Hintergrund immer eine grandiose Aussicht bietet. Über Torfstecher im Teufelsmoor hätte man solch einen Film wohl kaum machen können. Aber Erich Langjahr gelingt es halt auch, die einzelnen Handgriffe der Männer so ins Bild zu setzten, dass sich auch ein an der Heuernte in den Alpen nicht unbedingt interessierter Zuschauer mit wachsendem Interesse, ja fast mit Faszination ansieht, wie ein Holzschlitten gedrechselt wird und wie im Winter schließlich auf ihm die Heuernte aus dem Schober ins Tal hinunter gefahren wird.

Interessant ist auch, dass hier zwar eindeutig Brauchtum gepflegt wird (die Wildheuer muss etwa unbedingt am Morgen des Schweizerischen Nationalfeiertags begonnen werden), aber Langjahr sich eben nicht bemüht, seinen Film museal oder gar ethnologisch wirken zu lassen. Ein Wildheuer fährt mit dem knatternden Moped zum Aufstieg und neben all den Naturklängen schallt oft auch Motorengeräusch vom Tal auf die Hänge hinauf. Die Schweizer verklären ihre Berge halt nicht so romantisch wie ihre deutschen Nachbarn.

Wilfried Hippen