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Archiv-Artikel

Faule Deutsche, fleißige Polen

Wie hartnäckig sind Vorurteile und wie lassen sie sich abbauen? Diese Fragen standen am Anfang eines Symposiums über interkulturelle Kommunikationsstrategien. Manchmal ist aber die Wirklichkeit weiter als die, die sie interpretieren

„Von oben verordnete Zwangsbeglückung kann auf Dauer nicht gut gehen“

Drei Polen sitzen in einem Auto. Wer fährt? – Die Polizei. Auch wenn sie schon lange nicht mehr in der Harald-Schmidt-Show zu hören sind, haben Polenwitze Konjunktur. Im Internet gibt es sogar eine eigene Adresse: www.witzbank.de/polen.

Die dort versammelten Witze zeigen aber auch, wie sehr die Stereotype vom „faulen Polen“ und der „polnischen Wirtschaft“ zugunsten des „klauenden Polen“ zurückgegangen sind. Ins Alltagsbewusstsein der Deutschen ist es offenbar eingesickert, dass die „polnische Wirtschaft“ im Zuge der Osterweiterung der EU nicht unbedingt als Verlierer hervorgehen muss.

Wie hartnäckig sind Vorurteile, wie sind sie entstanden und wie lassen sie sich abbauen? Das waren die Fragen, der sich am vergangenen Freitag Europaexperten aus der Wissenschaft und Praxis unter dem Titel „Kaum gestohlen – schon in Polen“ stellten. Am heutigen Freitag wird das Symposium „Sprechen Sie europäisch?“ an der Universität der Künste mit einer Diskussion zum Thema „Märkte – Menschen – Marken! Osteuropa hat’s“ fortgesetzt.

Das Stereotyp von der polnischen Wirtschaft, meinte der Historiker Wolfgang Wippermann, hatte durchaus einmal einen realen Hintergrund, nämlich in der polnische Adelsrepublik des 18. Jahrhunderts mit ihren ineffizienten Entscheidungsstrukturen, die auch die wirtschaftliche Entwicklung des Landes behindert hätten. Dass es sich aber bis in die Gegenwart gehalten habe, zeige zum einen, dass Stereotype „Gefängnisse von langer Dauer sind“.

Zum andern gehören die Bilder der Deutschen von den Polen aber auch zu den so genannten „Geostereotypen“. Grob gesagt, fasste Wippermann zusammen, sei der Süden aus dieser Perspektive „faul“, der Westen „dekadent“, der Norden „rein“ und der Osten „böse“. Auch knapp sechzig Jahre nach dem Ende des deutschen Faschismus werde „der Osten“ noch immer als ein „kalter, unkultivierter und Furcht einflößender Raum“ wahrgenommen, „aus dem primitive Völker strömen“, die man sich nur durch den „Bau von Dämmen“ vom Leib halten könne, oder die man – als Alternative dazu – erobern müsse.

Gegen solcherlei Schwarzweißdenken hat es natürlich eine mittlerweile spielerischer gewordene Wirklichkeit schwer. Wie zum Beispiel wäre – neben dem Auslaufen des Bilds von der polnischen Wirtschaft – die Selbstironisierung des „Clubs der polnischen Versager“ in dieses starre Konzept der Stereotypisierung einzuordnen? Mittlerweile, das geht aus verschiedenen polnischen Studien hervor, gleichen sich die Bilder vom anderen den Selbstbildern an. So glauben nicht nur die Deutschen, dass die Polen zu viel trinken, die Polen glauben es auch von sich selbst. Ähnlich verhält es sich mit der Pünktlichkeit der Deutschen. Ist also die Wahrnehmung längst spielerischer als es ein starres Muster von Stereotypen vermuten lässt?

Leider ging es darum nicht am vergangenen Freitag, obwohl die Thesen Wippermanns Anlass genug geboten hätten. Vielmehr stand bei den Podiumsteilnehmern die Frage im Vordergrund, wie man mit einer klugen Strategie der interkulturellen Kommunikation helfen könne, Vorurteile abzubauen. So durfte Monika Wolff das „Europäische Informationszentrum“ in Niedersachsen vorstellen und Barbara Gessler von der Vertretung der EU-Kommission in Deutschland bessere „Verkaufsargumente“ für Europa anmahnen, da gerade in Deutschland die Zustimmung für die Osterweiterung gesunken sei.

Dass es aber womöglich einen Zusammenhang gibt zwischen einer „Verkaufsstrategie“ und einer steigenden Europaskepsis, wollte den Diskutanten nicht in den Sinn kommen. Dabei gibt es gerade in der deutsch-polnischen Grenzregion eine wachsende Kluft zwischen dem Europaoptimismus der Politiker und der Alltagswahrnehmung der Bewohner. „Von oben verordnete Zwangsbeglückung“, folgert deshalb der Publizist Christoph von Marschall, „kann auf Dauer nicht gut gehen.“

Verordneter Pessimismus, wie ihn die Medien im Grenzgebiet in ihren täglichen Meldungen von Diebstahl und der Furcht vor einem Verdrängungswettbewerb praktizieren, allerdings auch nicht. Auch hier sind die Menschen längst weiter, wie es eine Analyse von Ludek Zahradnicek zeigte. Der Kommunikationsexperte im tschechischen Außenministerium hatte in die Universität der Künste eine Liste der Fragen mitgebracht, die den Tschechen im Zusammenhang mit dem EU-Beitritt am meisten unter den Nägeln brennen. Und siehe da: Von der Angst vor den Deutschen war da keine Rede, vielmehr standen ganz praktische Fragen wie die nach der Entwicklung der Löhne im Vordergrund. Das ist umso erstaunlicher als das deutsch-tschechische Verhältnis von den Politikern beider Länder immer als schlechter bewertet wird als zum Beispiel das deutsch-polnische.

Es waren deshalb vor allem die Studenten der Universität der Künste, die zum Ende der Diskussion die richtigen Fragen stellten. Ob man mit den Stereotypen nicht etwas gelassener umgehen könnte? Oder ob am Anfang einer Kommunikationsstrategie weniger das „Verkaufsinteresse“, sondern eine Analyse der Wahrnehmungen vor Ort stehen sollte.

Allzu viel Schaden dürfte die deutsche Verkaufsstrategie allerdings nicht anrichten. Schließlich müssen die Deutschen dem Beitritt, anders als die Menschen in den Kandidatenländern, nicht in einem Referendum zustimmen. UWE RADA

„Märkte – Menschen – Marken! Osteuropa hat’s“ findet heute um 14.30 Uhr in der Universität der Künste, Hardenbergstraße 33 in Raum 110 statt