Ein Krieg um Öl?

Aber ja!

Natürlich ist es ein Reflex, dieses „Es-geht-in-Wirklichkeit-um-Öl-und-deshalb-sind-wir-dagegen“. Und natürlich ist das zu einfach, denn es geht ja nicht nur um Öl, sondern auch um Militärpräsenz, die Sicherheit Israels, das Zurückdrängen des wahabitischen militanten Islams aus Saudi-Arabien mit seinen Verbindungen ins saudische Herrschaftssystem hinein, die strategische Neuordnung von Freund und Feind unter Kontrolle der USA.

Und vielleicht ein bisschen um mögliche Massenvernichtungswaffen, denn noch sind die USA und Israel in der Region die Einzigen, die über solche verfügen, und diese Vormachtstellung gilt es aufrecht zu erhalten. All das sind verständliche Ziele der US-Regierung. Nur: Mit Ausnahme der berechtigten Sorge um Giftgas oder Biowaffen in den Händen von Diktatoren, Terroristen oder Verrückten gibt es wenig Anlass, diese Ziele zu teilen.

Der Kalte Krieg, der in Westeuropa eine zwangsweise Interessenkonvergenz mit der Schutzmacht USA diktierte, ist vorbei. Nicht aus moralischer Empörung, sondern im wohl verstandenen Eigeninteresse ist Widerspruch gegen eine US-Politik angebracht, die gegenüber Feind wie Freund die eigene militärische Stärke zur Grundlage der Beziehungen macht.

Es mag in den USA akzeptiert werden, dass für den Zugang zu Rohstoffen Kriege geführt werden. „No blood for oil!“, ruft zwar auch dort die Friedensbewegung – „wofür denn sonst?“, scheint indes ein Teil der Gesellschaft hinter vorgehaltener Hand zurückzurufen. Der militärisch Stärkere kann sich solche Überlegungen leisten. Der Schwächere aber muss, wie Egon Bahr es formuliert, auf die Stärke des Rechts setzen und aus der Einzelfall- eine Prinzipiendiskussion machen.

Wer die Schwächeren schützen will, ohne auf den Aufbau militärischer – oder terroristischer – Gegenmacht setzen zu wollen, muss internationale Rechtsstaatlichkeit wollen. Die aber kann nur auf transparenten Normen beruhen, die unabhängig von Interessen Einzelner zu gelten haben.

Dagegen wehrt sich diese US-Regierung mit Händen und Füßen. In einer Offenheit, die an Max Frischs „Biedermann und die Brandstifter“ erinnert, erklärt die Regierung Bush die eigenen Interessen zur allein gültigen, keinerlei Rechtsrahmen akzeptierenden Leitschnur ihrer Politik.

Das Instrumentarium des Völkerrechts wird dadurch zum Selbstbedienungsladen, aus dem sich die US-Regierung herausgreift, was gerade passt, während man alle Abkommen und Institutionen bekämpft, die eine allgemeingültige Anwendung jener Normen durchzusetzen sich anschicken.

Die Vereinten Nationen und der Sicherheitsrat werden zur Geisel einer Machtpolitik, die Widerspruch mit Nichtbeachtung bedroht und im Zweifel erfolgreich die Entsolidarisierung der potentiellen Opponnenten betreibt. So ist der Irakkrieg auch für die USA ein Testfall: Wenn das geht, geht fast alles.

Selbst die Diskussion über ein mögliches Exil des irakischen Staatschefs Saddam Hussein passt dazu: Da ist seit Pinochet-Verhaftung und Rom-Statut des Internationalen Strafgerichtshofs 1998 feierlich verkündet worden, Diktatoren könnten sich in Zukunft nicht mehr sicher sein, ohne Strafe für ihre Taten davonzukommen – und schon wird vorgeschlagen, Saddam Hussein Straffreiheit zu garantieren, wenn er nur abtritt und einer US-freundlichen Regierung Platz macht.

Der Spruch „Kein Blut für Öl“ bringt – vereinfacht und polemisch, wie Sprüche so sind – all das auf den Punkt. Der Slogan ist nicht pazifistisch, er ist im Übrigen noch nicht einmal besonders moralisch: Wer „kein Blut für Öl“ fordert, impliziert damit sein Einverständnis, dass es andere Dinge geben könnte, für die es sich lohnt zu kämpfen, womöglich sogar Krieg zu führen.

Genau dieses Verständnis gibt europäischen Regierungen derzeit die Möglichkeit, ehrlich gegen einen Irakkrieg zu sein. Die Durchsetzung jener Rechtsnormen, die einen solchen Krieg verbieten, liegt im ureigensten Interesse zum Beispiel Deutschlands – übrigens genauso, wie UN-Waffeninspektionen im Irak angezeigt erscheinen. Und es ist gut, dass die rhetorische Usurpation gemeinsamer Grundwerte durch die von gänzlich anderen Interessen geleitete Clique rund ums Weiße Haus nicht unwidersprochen bleibt.

Kein Blut für Öl – der Spruch ist gar nicht schlecht.

BERND PICKERT

Ja, aber ...
Natürlich geht es im Irak um Öl – auch um Öl. Aber das allein ist noch kein Argument gegen einen neuen Golfkrieg. In der internationalen Politik ist es legitim, dass jeder Staat sein wohlverstandenes Eigeninteresse vertritt. Wer diese Interessen vernachlässigt, handelt verantwortungslos.

Gerade in Deutschland gibt es innen- wie außenpolitisch eine fatale Tradition, jede Art der Interessenvertretung von vornherein als unmoralisch zu denunzieren. Innenpolitisch handelte es sich um das zentrale Argument der Demokratiefeinde, die damit schon die Weimarer Republik zu Fall brachten. Die parlamentarische Regierungsform galt ihnen als institutionalisierter Kuhhandel. Sie trauerten dem Kaiser hinterher, der angeblich über allen Interessengruppen stand und das Vernünftige entschied.

Außenpolitisch galt schon vor dem Ersten Weltkrieg bis weit in die Arbeiterbewegung hinein als ausgemacht, dass nur die konkurrierenden Mächte eigene Interessen vertraten – während das Reich voller Idealismus eine höhere Moral in Anspruch nahm. Der Ausgang des Ersten Weltkriegs bestärkte die meisten Deutschen in ihrer Auffassung, sie seien wieder einmal über den Tisch gezogen worden. Hitler zog daraus die Konsequenz, den nächsten Krieg bis zum bitteren Ende zu führen – am Schluss gegen jedes denkbare Eigeninteresse der Deutschen.

Mühsam lernte die Bundesrepublik diese Lektionen. Rund um den Bonner Politikbetrieb entwickelte sich ein allseits akzeptiertes System legitimer Interessenvertretungen, und am Verhandlungstisch der Europäischen Gemeinschaft feilschten auch deutsche Minister ganz zivil um Nettobeiträge und Agrarsubventionen. Und dennoch: Die Kritik an diesen Zuständen blieb in Deutschland lauter als anderswo. Neben ein paar versprengten Rechtskonservativen tat sich vor allem die politische Linke in dieser Disziplin hervor.

Kaum ist die Debatte über einen möglichen Irakkrieg in ihre heiße Phase eingetreten, tauchen die alten Argumente wieder auf. Vom Nobelpreisträger Günter Grass bis zu den Redakteuren des Spiegel entdeckten plötzlich weite Teile der deutschen Öffentlichkeit, die USA wollten „Blut für Öl“ fließen lassen. Die vermeintliche Enthüllung wirkte in doppelter Weise naiv: Erstens war ohnehin jedem Kundigen längst klar, dass es zumindest auch um Öl geht, wann immer es am Golf kriselt. Und zweitens sagt diese Feststellung noch überhaupt nichts darüber aus, ob ein Angriff auf den Irak zu rechtfertigen ist oder nicht.

Eine verantwortungsvolle Politik für den Nahen und Mittleren Osten lässt sich nicht betreiben, ohne den Faktor Öl ins Kalkül zu ziehen. Das gilt schon deshalb, weil die Öleinnahmen seit Jahrzehnten die überkommenen Herrschaftsstrukturen der Region künstlich stabilisieren und jede wirkliche Modernisierung verhindern.

Vieles spricht dafür, dass dieses System zumindest in Saudi-Arabien nicht mehr lange funktioniert. Die USA haben das lange, zu lange ignoriert. Erst der 11. September hat der Regierung in Washington klar gemacht, dass sie auf das Königreich nicht länger bauen kann. Also sucht sie nach anderen Mitteln und Wegen, die Region zu stabilisieren – und damit, warum nicht, auch die Ölversorgung des Westens sicherzustellen. Sie glaubt, diesen Weg in einem erzwungenen Regimewechsel im Irak gefunden zu haben.

An solchen Überlegungen ist an sich nichts Unanständiges. Worum es geht, ist eine nüchterne Kosten-Nutzen-Abwägung zwischen den konkurrierenden Interessen: Würde die Region durch ein Eingreifen im Irak wirklich stabilisiert, oder führt ein Krieg erst recht zum Absturz ins Chaos? Setzt ein Vorgehen gegen den irakischen Diktator neue Maßstäbe der Weltinnenpolitik, oder würde ein Angriff das internationale Rechtssystem gerade ruinieren? Und, vor allem: Kostet ein neuer Irakkrieg voraussichtlich mehr Menschenleben, als durch die erhoffte Stabilisierung der Region vielleicht gerettet werden können?

Die Regierungen des „alten Europa“, wie der amerikanische Verteidigungsminister sie abschätzig nennt, beantworten alle drei Fragen mit jener Skepsis, die sie die eigene Geschichte gelehrt hat. Vieles spricht dafür, dass sie mit dieser Einschätzung Recht haben.

Aber auf die intellektuelle Anstrengung einer solchen Debatte muss man sich schon einlassen, statt sie mit der allzu simplen Parole „Kein Blut für Öl“ einfach beiseite zu schieben.

RALPH BOLLMANN