Schmerzhafter Gang

Den Unterdrückten eine Stimme: Die Alajotas Dance Company aus Nigeria zeigte auf Kampnagel „Onidundun – Die sprechende Trommel“

von KARIN LIEBE

Hart schlägt der Tänzer auf die Trommel. Nicht mit der Hand, sondern mit einem seltsamen hakenförmigen Ding. Es erinnert an chirurgisches Besteck, an eines dieser kleinen Folterinstrumente beim Zahnarzt. Hier, bei der Deutschlandpremiere von Onidundun – Die sprechende Trommel auf Kampnagel, wird das hakenförmige Ding sogar um den Hals geschlungen – den eigenen wie den fremden. Und dem Zuschauer schnürt es die Kehle zu.

Demütigen, schlagen, foltern, töten: Die Sprache der Gewalt ist universell. Selbst wenn man nichts über das Heimatland der Alajotas Dance Company weiß – sie kommt aus Nigeria –, ahnt man, dass für die Tänzer konkrete Gewalt und die Angst vor Gewalt zum Alltag gehören. Eben noch haben die vier Tänzer ihre nackten Oberkörper in geschmeidigen Wellen vibrieren lassen oder sie wie Federvieh aufgeplustert, da wirft der kräftigste sich einen schmächtigen über die Schulter, als wäre er ein nasser Sack. Der Kräftige schlingt Teile eines dicken Seils, das vielfach verknotet von der Decke hängt, um den Schmächtigen. Er schleift den Willenlosen über den Boden, tritt ihn dann, schlägt ihn.

Quälend ist das für den Zuschauer, und er will wissen: Wer kämpft hier gegen wen? Oder besser: Wem geschieht Gewalt, ohne dass er sich auch nur ansatzweise dagegen wehrt? Wer ist Unterdrücker und Unterdrückter, wer ist Folterer und Knecht? Sind es Stammesfehden, ist es brutale Regierungsmacht?

Onidundun, so informiert das magere Programmheft, basiert auf einer afrikanischen Legende, „nach der die sprechende Trommel alle Klänge und Emotionen der Welt enthält und so auch den Unterdrückten und Außenseitern eine Stimme verleiht“. Auch von einer „impulsiven, authentischen Körpersprache, die vom kreativen Potenzial kultureller Unterschiede lebt“, ist da die Rede. Ach, so. Und dass der Choreograf und Leiter der Alajotas Dance Company, Christopher Abdul Yisa Onibasa, der in Nigeria Symbolfigur der Künstlerszene sei, in Frankreich mit europäischem Tanz in Berührung kam.

Selbstverständlich kann man westliche Tanzelemente in Onibasas Choreografie entdecken: An klassisches Ballett erinnern die vielen Hebefiguren, auch Spitzentanz ist zu sehen. Doch wenn ein Tänzer auf nackten Zehenspitzen läuft, ist das kein graziles Getrippel, sondern wirkt eher wie ein schmerzhafter schwankender Gang auf verstümmelten Füßen. Und man denkt mit Schaudern an die Amputationen, die nach der Scharia-Gesetzgebung im islamischen Norden Nigerias gegen Straftäter verhängt werden.

Auch Steine sind auf der Bühne zu sehen. Die einzige Frau, die sich sonst völlig im Hintergrund hält und nur manchmal verhalten mittanzt, rollt von einem großen Steinhaufen Steine wie Bocciakugeln in die Bühnenmitte. Einen großen, unbehauenen Stein bearbeitet sie rhythmisch mit zwei kleinen. Ein ganz einfacher Takt, in den die zwei Musiker an den Trommeln und am Syntheziser einsteigen. Steine können also nicht nur töten, sondern verbinden als die ursprünglichsten Musikinstrumente Menschen miteinander.

Nicht nur Gewalt und die Angst vor ihr werden hier gezeigt. Doch der Sinn der fröhlichen, ausgelassenen Tänze ist verblüffenderweise viel schwieriger zu erschließen. Zwar könnte man sich auch einfach an den geschmeidigen Körpern erfreuen, den luftigen Sprüngen, dem gockelhaften Gestelze. Doch was wird hier gefeiert? Einer bückt sich, reibt mit dem Zeigefinger etwas vom Boden, leckt daran, ein anderer macht es ihm nach. Rituale, die das Säen oder die Ernte oder das Leben an sich preisen? Wieder zu Hause, wird der Partner befragt: Was weißt du von Nigeria?